„A floating lesson“ (Jessica Pratts Langspielplatte „Here In The Pitch“)

Laura Barton zählt zu meinen Favoritinnen, im Genre der Musikbesprechung. Unlängst erst sang sie ihr Loblied auf Beth Gibbons‘ vielschichtiges Album, und schon etwas länger ist es her, da besprach sie das aktuelle Album von Jessica Pratt, das bei City Slang erschienen ist. Ich habe erst heute ihren Text gelesen, denn ich wollte der Musik völlig unvorbereitet begegnen. Es war dunkel, ich zündete ein Kerzenlicht an, und fand mich im Nu in der so verlockenden wie gepenstischen Liederwelt der mir bislang nur vom Namen bekannten Sängerin wieder. Vom ersten spinnwebartigen Sound bis zum letzten Moment, breitet sich ein immenses Retro-Flair aus. Ich fühlte mich auf einer Zeitreise in meine frühen Zwanziger versetzt, in der das Staunen leicht fiel, wenn Astrud Gilberto mit Stan Getz das Mädchen aus Ipanema besang, oder ein gewisser Nick Drake in pastellgetönter Dunkelheit seinen „Pink Moon“ beschwörte, mit dem sanftesten vorstellbaren Gesumme. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der die Hunde jede Nacht bellten und der Mond immer voll war. Schon nach dem ersten Hören war ich verwundert, wie sehr mich Jessica Pratts Spiel mit alten Texturen einfängt, und stellte mir, hier und da, die klassische Frage der luziden Träumer: Träume ich, oder wache ich?“


1979 veröffentlichte Joan Didion „White Album“, eine Auswahl von Essays, die Kalifornien am Rande der 1970er Jahre einfingen, als der Traum von der Gegenkultur ins Wanken geriet. „Eine verrückte und verführerische Wirbelspannung baute sich in der Gemeinschaft auf“, so beschrieb sie es. „Die Nervosität machte sich breit. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der die Hunde jede Nacht bellten und der Mond immer voll war.“

Etwas von Didions Beschreibung findet sich in Jessica Pratts viertem Album Here In The Pitch wieder. Die Sängerin schöpft aus der zwielichtigen Geschichte ihrer Heimat Los Angeles, diesem besonderen Westküstengefühl einer amerikanischen Utopie im Aufbruch, um ihre bisher besten Songs zu schreiben. Geschichten über Sünden und Verbrechen und „böse Unschuld“ liegen unter einer musikalischen Palette von Bossanova und orchestralem 60er-Jahre-Pop. Die Melancholie bewegt sich unterhalb des Glanzes. Süße begräbt die Düsternis. Selbst der Titel des Albums deutet auf eine latente Bösartigkeit hin. Das fragliche „Pech“ bezieht sich sowohl auf absolute Dunkelheit als auch auf Bitumen, jene ölige, schwarze Substanz, die sich, nässend und unheilvoll, irgendwo unter der Erde bildet und an Orten wie den La Brea Teergruben in Los Angeles an die Oberfläche tritt.

Pratt hat davon gesprochen, dass sie bei der Konzeption dieser Songs von „großen Panoramaklängen träumte, die an das Meer und Kalifornien denken lassen“. Ihr Prüfstein war natürlich Pet Sounds, aber sie suchte die ruhigen Momente dieses Albums ebenso wie seinen barocken Schimmer; die Punkte, an denen man die Stille des Studios hören kann; das Gefühl, „dass man die Hand ausstrecken und die Textur des Klangs in der Luft berühren könnte“.

Die Textur des Klangs ist ein faszinierender Gedanke in Bezug auf Pratt. Ihre Stimme hatte schon immer eine ganz eigene, außergewöhnliche Zusammensetzung: sauer, körnig, süß und schilfig, wie in einer seltsamen Korrespondenz mit der sie umgebenden Luft. Auf frühen Aufnahmen neigte sie sich in Richtung Karen Dalton oder Joanna Newsom, etwas hoch und einsam. Hier ist ihre Stimme tiefer und müder – bei „Empires Never Know“ erinnert sie fast an die späte Marianne Faithfull. Diese Veränderung war ein bewusster Schritt; Pratt suchte nach einer körperlicheren Art des Gesangs für diese Platte. Das Ergebnis ist eine größere Bandbreite und eine tiefere Art von Dunkelheit.

Pet Sounds war nicht die einzige Inspiration für Here In The Pitch. Das Eröffnungsstück „Life Is“ schreitet wie eine Phil Spector-Nummer oder „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ von den Walker Brothers herein. Es gibt Bläser und Streicher und Mellotron, einen Gastauftritt von Ryley Walker an der Gitarre, während Pratt von Unsicherheit und halbseitiger Frustration singt und die Kreisförmigkeit ihrer eigenen Gedanken verfolgt, wenn sie feststellt, dass „Time is time and time and time again“.

Oft funktionieren diese Tracks auf diese Weise, indem sie eine Art songwriterischen Taschenspielertrick vollführen: die Musik bewegt sich hell in eine Richtung, während die Texte in die entgegengesetzte Richtung ziehen – klein, eng, imagistisch. Bei „Better Hate“ zum Beispiel plätschert die Musik in eine Richtung, während sich der Text in die andere Richtung bewegt: „Just a sad case, I’m nobody’s fool“, singt sie, als ob sie nach dem Weg nach San Jose fragen würde. „And you’ve won it all, but your smile’ll be gone/When you’re yesterday’s news“.

Die Texte dieser neun Lieder zeichnen eine Welt, in der das Licht schwach ist und die Sonne untergeht, während der Herbst vor der Tür steht. Die Figuren sind gefangen und misstrauisch. Es gibt Bettler und Diebe, Ausgangssperren und Flüche, Leben „in der Mitte versunken“ und „Träume von Autobahnen“. Pratts Songwriting mag sich auf träumerische Zweideutigkeit stützen, aber die Themen auf Here In The Pitch fühlen sich vertraut an; eine Art modernistischer Springsteen, an den Pazifik gepresst.

Dies ist ein kurzes Album, das lange auf sich warten ließ, wie alle Platten von Pratt. Aber bei jeder Veröffentlichung hat man nie das Gefühl, dass ein Musiker um Ideen ringt, sondern eher, dass er ein Meister der Destillation ist. „Ich habe nur versucht, das richtige Gefühl zu finden“, sagt sie über die langsame Reise bis zur Veröffentlichung dieses Albums. Es zeugt von ihrem Talent, dass Pratt auf der Suche nach diesem Gefühl so viel von dem, was in der Vergangenheit für sie funktioniert hat, in Frage gestellt und ihren Sound, ihre Band und ihre eigene, viel geliebte Stimme neu konfiguriert hat.

Am Ende von Here In The Pitch scheint sie sogar neue Gedanken darüber zu haben, was sie überhaupt hierher geführt hat. Das einzige Instrumentalstück des Albums, „Glances“, kommt als sanftes, mit den Fingern gezupftes Motiv daher, wird von Bläsern überschwemmt und zieht sich dann zurück. Dieses wortlose Zwischenspiel reinigt den Gaumen vor dem Albumabschluss „The Last Year“, einem Stück, das sich als unerwartet hoffnungsvoll erweist, auf eine dunkle Art und Weise. „I think it’s gonna be fine, I think we’re gonna be together“, singt Pratt beschwingt. „Und die Geschichte geht ewig weiter“.

Mit diesen beiden Tracks weicht diese „verrückte und verführerische Wirbelspannung“. Die Nervosität lässt nach, die Hunde sind ruhig, und sogar der Mond wird schwächer. Wir sind aus dem Spielfeld heraus, scheinen sie zu sagen, lasst uns dem Licht entgegen gehen. (l.b.)

2 Kommentare

  • Martina Weber

    Der Name „Laura Barton“ kam mir bekannt vor. Auf unserem alten Blog hattest du ihren Namen erwähnt, im Zusammenhang mit Mikro-Essays. Ich fand das Genre des Mikro-Essays so bemerkenswert, dass ich mir das damals auf einen Zettel geschrieben habe. Den Zettel gibt es wahrscheinlich nicht mehr, aber ich habe mich erinnert. Wer im Manafonistas-Suchfeld „Laura Barton“ eingibt, kann ein paar Entdeckungen machen.

  • flowworker

    Ich habe das Gefühl, dass die Dinge, auf die ich mich konzentrieren will, fast von der Musik selbst diktiert werden. Ich glaube, manchmal hat man eine vage Vorstellung von einer Sache, die einen interessieren könnte, oder man ist sich bis zu einem gewissen Grad der verschiedenen Einflüsse bewusst, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihren Höhepunkt erreichen. Aber ich setze mich nie hin, um zu schreiben. Vielleicht setze ich mich hin und schreibe etwas ganz Bestimmtes, aber ich glaube nicht, dass das jemals funktioniert hat. Die Songs, die hängen bleiben, sind die, die einfach aus der kosmischen Suppe des Tages heraussprudeln. Der Sound und der Rhythmus der Sache diktieren sozusagen die Richtung, in die es geht. Und es ist fast so, als wäre man so etwas wie eine zweite Partei dabei. Natürlich ist ein Teil deines kritischen Verstandes am Werk, aber es fühlt sich an wie eine völlig unbewusste Sache, wie Schlafgespräche. Wenn dir jemand sagt, dass du etwas im Schlaf gesagt hast, denkst du dir: „Das macht wohl Sinn. Aber es ist auch eine Art unheimliches Gefühl, als käme es von einer anderen Quelle.

    – Jessica Pratt

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert