16 (1971) – „We‘ll talk about it now“

Vorgestern kam Wolfgang F. aus meine Klasse von 1973 zu Besuch, „der alte Schwede“, und ich erfuhr etwas, was der London-Film unserer Klassenfahrt mit Dr. Egon Werlich (hier seit den Jahren der Manafonisten wiederholt als bester Lehrer meines Lebens geadelt, neben Leonard Cohen), unterschlug. Als ich zu schnell, mit hohem Fieber, zurück in der Heimat war, trieben sich einige de Jungs in der Wardour Street rum, und erlebten Donovan live. Im Marquee Club. Das habe ich dann doch, mit dem Abstand von einigen Dekaden, betrauert. Es sollte genau zehn Jahre dauern, dass ich selbst wieder mal im Marquee auftauchte (nach Stramhammer im Jahre 1971), an einem regnerischen Wintertag. Jah Wobble and The Invaders Of The Heart. Aber Donovan: viele wissen gar nicht, was er für wundervolle Alben gemacht hat, und halten ihn für eine blasse Dylan-Kopie der einen Räucherstäbchen-Hipppe. Ich schweife ab.

Ein Plattenladen in Paignton. EF-Ferienreisen. Sommer 1971 (ich bin dieweil unglücklich in Regina verliebt, eine Pfarrerstochter aus der Bittermark, und es entsteht, unter englischen Palmen, ein kleines Techtelmechtel mit einer baldigen Hockeyspielerin aus Neuss). Ich erlebe in einer urigen Fish’n’Chips-Bude den Dicken von Hot Chocolate – er scheint mir high zu sein.

Ich wohne mit einem, der noch längere Haare hat als ich, in einem Zimmer eines sehr alten Hauses im ersten Stock. Sehr sympathische Gastgeber, ohne Groll gegenüber den Nachgeborenen des Zweiten Weltkrieges. Dann also vor diesem Plattenladen, Nase an die Scheibe gedrückt. Da drin, in der Auslage, der Anfang einer sich als sehr stabil erweisenden love affair, After The Goldrush, von Neil Young.

Es wird meine erste Platte des jungen Young, und einen Tag später kann ich schon mit Neil „Tell Me Why“ im Duett singen, auswendig gelernt vom beiliegenden, krakeligen Textblatt. Die nette Familie stellt uns den Plattenspieler zur Verfügung. Gott, ist „Southern Man“ ein Hammer –  für mich ein antifaschistischer Song –  ich gehe dermassen im Sound auf, dass für Lyrikdeutung keine Zeit bleibt.

Aber in der Auslage, neben Neil, steht noch ein Album, nur habe ich weder das Taschengeld noch den Übermut, es mir auch noch zuzulegen. Das Cover berührt. Etwas Uraltes, Urenglisches, Dublin 1916, Geschichtsunterricht, und drumherum, um so viel schwarzen Raum, hippie coloured portraits. Daheim in Dortmund schlage ich zu, vielleicht las ich eine begeisterte Besprechung in Sounds. Heute gilt es als Klassiker der englischen „Jazz-Rock-Historie“ (unangefochten meine Nummer 1 dieses Genres, „Third“ von Soft Machine). Vor Ewigkeiten kam mir Nucleus abhanden. Auf gefühlten 12 Umzügen. Haben sie je ein besseres Album gemacht?

Mehr als ein halbes Leben später habe ich mir, vor einem Jahr, die Platte erneutbzugelegt. Mastered from the original analog tapesWe‘ll talk about it later. Von Nicleus. Und die Scheibe paclt mich immer noch in grossen Teilen. Später, auf mein Mixtape für Regina, kam dann aber nichts von Nucleus – ich versuchte es mit den Kinks, mit Genesis, und Neil Young, nutzte auch nichts – „only love can break your heart“.) 

Ich war 17, hatte meine Baskenmütze auf dem Kopf, und sass auf einem Pier in Torquay. Ich sah auf die Palmen und hatte bis zu diesem Trip nach England nichts von den Palmen und dem Golfstrom dort gewusst. Vor mir auf der Kai-Mauer lag ein kleines Taschenbuch über das richtige Pfeiferauchen. Ich hatte alles Nötige dabei, und auch den Tabak meiner Wahl. Da es der einzige Tabak ist, den ich je in einer Pfeife rauchte, habe ich ihn nie vergessen: „Mac Baren‘s Mixture Scotish Blend“ verströmte einen süssen Honigduft, das Whisky-Aroma liess sich allenfalls erahnen. Er galt, wie ich las, als zungenfreundlich, ein Tabak, der langsam und kühl abbrennt, wenn er mit Bedacht genossen wird. Ich befolgte die Anweisungen zum Stopfen der Pfeife sorgsam, aber im Endeffekt scheiterte ich, immer wieder ging mir nach wenigen Zügen die Glut aus. Eine klare Niederlage. Wie in der Zeit davor, in der ich mir das Bridgespielen beibrachte, aus dem dann ein Solo für Vier wurde, weil kein Kumpel das Spiel lernen wollte. Ich hatte die Lektion gelernt, und mir später ein Buch mit Patiencen besorgt.

Das alles kommt mir in den Sinn, weil gerade „Coral Island“ läuft, das neue Doppelalbum von The Coral: und wenn man auch nur das kleinste Faible für englische Küstenkäffer hat, sind bei diesem Album Zeitreisen garantiert. Echos von den Beatles bis Leonard Cohen, von den Small Faces bis zu den Kinks, aber doch eine ganz eigene „Geisterwelt“.

Damals, auf diesem Pier in Torquay, als ich an der Pfeife scheiterte, ist noch etwas passiert, das ich nie vergessen werde. Ein grosser Hund mit Schlappohren, eine Promenadenmischung, kam zu mir angetrottet, kein Besitzer war weit und breit zu sein, und er hockte sich zu mir. Wir erzählten uns ein paar Geschichten, jeder auf seine Art. Er hiess Joe. Irgendwann signalisierte er mir, ihm zu folgen, und über einen Steg gelangte ich auf ein luxuriös augestattetes Boot. Klein, aber oho! Wir machten es uns dort gemütlich, er mit einem, Knochen, ich mit einem Fernrohr, das ich in der Kajüte fand.

Dann muss ich eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, waren wir auf offener See, und ausser dem Hund und mir war weiterhin niemand an Bord. Ich sah in der Abenddämmerung das Funkeln der Lichter der Küstenpromenade, und pure Freude durchströmte mich. Ich erkannte Fetzen eines Songs, wohl aus einer Jukebox, und aus weiter Ferne, „Mellow Yellow“ von Donovan. Wie kann ein Lied so unbedrängt aufs Meer hinaus fliegen? „…Born-a high forever to fly….A-wind-a velocity nil….Born-a high forever to fly…If you want, your cup I will fill…“ Aus meinem Rucksack holte ich ein Büchlein über das ABC des Bootfahrens. Wir waren gerettet.

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