• – 40 – 43 –

    40 – Harald Budd, Brian Eno – Ambient 2: The Plateaux Of Mirror

    Obwohl ich schon immer viel instrumentale Musik gehört habe, war die Auswahl in dieser Serie bislang text- und stimmlastig. Es wurde gesungen oder gerappt. Da ich die Texte recht schnell schreibe, ist die Auswahl spontan: an einem anderen Tag hätte ich vielleicht etwas anderes ausgewählt. Es gibt sicher einige Alternative Versions, other possible music.

    Seitdem ich so 35 bin, höre ich viel Musik beim Korrigieren von Arbeiten und Vorbereiten meines Unterrichts. Da bietet sich instrumentale Musik an. Das hat vielleicht auch eine Eigendynamik angenommen. Nicht nur deswegen folgt ab jetzt nur noch Instrumentalmusik (sorry, Beth).

    Ich beginne ab 2010 damit, versuchsweise Klassik und Neo-Klassik zu hören: Streichquartette, Nils Frahm, Lubomyr Melnyk. Das ist alles schön, aber nicht ganz was ich suche.

    Und irgendwann frage ich mich, ob nicht Brian Eno die Ambient Musik erfunden hat, um die Stimmung in einem Raum zu verändern, ohne sich all zu sehr aufzudrängen. Ich lade mir also erst „Ambient 1“ und recht schnell auch noch „Plateaux of Mirror“ runter (in der Zeit höre ich hauptsächlich Downloads über eine Soundbar von Teufel). Speziell das zweite Album hat einen unglaubliche Wirkung, ich bin hochaufmerksam am Hören und tief versunken in der Arbeit – ein merkwürdiger Effekt.

    43 – Masayoshi Fujita – Apologues

    Apologues hat einen besonderen Stellenwert und bekommt deswegen hier auch eine gesonderte Erwähnung: es war mit Abstand das meist gehörte Album in meiner iTunes Bibliothek, deren Top Ten zu 80% aus den Stücken dieses Albums bestand. Ich glaube, ich habe es um die 120mal gehört.

    Ein Zwischenschritt also, bestimmt würde ich beim längeren Nachforschen noch mehr Alben finden, die einen besonderen Stellenwert haben. Urlaubsmusik, so etwas.

    2016 absolviere ich eine Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Mitlesende diesen Schein kennen. Es ist eine relativ anspruchsvolle Prüfung, in der mündlich wie schriftlich das medizinische Wissen zu Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie abgefragt wird; die Durchfallquote liegt bei über 50%.

    Ich bereite mich in einem einjährigen Kurs vor (an einem Abend in der Woche), nach einem halben Jahr treffe ich mich regelmäßig mit einer Lerngruppe. Nebenher arbeite ich und stemme den Alltag mit den beiden Kindern (meine Frau arbeitet in der Zeit extrem viel). Unmittelbar vor den beiden Prüfungen bin ich außerdem privat und/oder beruflich sehr eingebunden – die Termine liegen suboptimal.

    Irgendwann gewöhne ich mir an, beim Lernen immer die fluffig verträumte Musik von Masayoshi Fujita laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass es irgendetwas bringt. Auf den Zugfahrten nach Celle bzw. Lüneburg zu den beiden Prüfungen läuft „Apologues“ auf dem iPod. Die schriftliche Prüfung bestehe ich sehr knapp (bei einem Fehler mehr wäre ich durchgefallen) und irgendwie mogel ich mich durch die die mündliche Prüfung, auch wenn mindestens eine der drei Prüfenden mich durchfallen lassen will. Diese 60 Minuten waren so lang wie ein Tag. Vielleicht hat die Musik meine neuronalen Netze wirklich so aktiviert, dass sie zum Bestehen einen kleinen Beitrag leisten konnte.

  • – 35 –

    35 –  Michael J. Sheehy – So Long, Sorrow Town / Niels Frevert – Niendorfer Gehege 

    Im Jahr 2008 bin ich seit zwei Jahren Waldorflehrer und unterrichte an zwei Schulen, die 80 km voneinander entfernt sind. An manchen Tagen muss ich an beiden Schulen arbeiten und anschließend meinen Sohn von einer dritten abholen. Das Gefühl der Umzingelung stellt sich ein. 

    Die Schilderung meines Weges in diesen doch sehr speziellen Beruf, der Hürden, die ich überwunden oder nur aus dem Weg geräumt habe, sprengt diesen Rückblick deutlich. Ich bin – 2024 – immer noch Waldorflehrer, zum Glück schon lange nur noch an einer Schule tätig. Viele Vorbehalte habe ich immer noch und während der Pandemie, in der die Waldorfbewegung nicht immer ein gutes Bild abgegeben und eine noch schlechtere Presse bekommen hat, sind noch einige dazu gekommen. Die Zusammenarbeit mit den Schüler*innen möchte ich aber nicht missen.

    Während ich die Ausbildung zum Waldorflehrer berufsbegleitend absolviere, arbeite ich 2004-2006 als Telefonist einer großen Behörde. Mein Arbeitsplatz ist eine ranzige Pförtnerloge, in der wir immer zu zweit sitzen. Die Tätigkeit ist weder anstrengend noch herausfordernd; ich habe vielleicht noch nie in meinem Leben so viel gelesen wie in diesen zwei Jahren, „Die Buddenbrooks“ sind zum Beispiel in einer Woche durch. Ich verbringe zusätzlich reichlich Zeit im Internet, spiele Schach und Backgammon gegen den Rechner, löse Sudokus und führe gelegentlich auch Telefonate.

    Ich entdecke Blogs für mich und lerne so viel neue Musik kennen. In dieser Zeit hat es mir besonders shake-baby-shake angetan; ich höre immer mehr R’n’B, Country, Blues, Soul. Und bis 2008 wird vor allem noch Bob Dylan dazu kommen, den ich in diesen Jahren wirklich viel und gerne höre und irgendwann später einmal live sehe (vielleicht das einzige Konzert auf dem ich erlebe, dass jemand ohnmächtig wird – ich glaube die Aufregung spielte dabei tatsächlich eine sehr große Rolle).

    Zurück in das Jahr 2008. „Niendorfer Gehege“ (von dem wunderbaren Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“) erzählt vom Erwachsensein, von der verlorenen Zeit. Das geht mir sehr nahe, besonders die kleine Reminiszenz an Kiss.

    Die meiste Musik höre ich in der Zeit auf meinem iPod Nano, den ich mir am Ende meines ersten Schuljahres (2007) gönne und sehr liebe; auf den langen Bahnfahrten zwischen den Schulen das perfekte Medium für mich. Meistens kaufe ich mir CDs, importiere die auf den Rechner und packe die Musik dann auf den mp3 Spieler.

    Meine Zeit an der etwas weiter entfernten Schule ist von vorneherein begrenzt. Erst will ich sowieso nur ein Jahr bleiben, die Beziehung zu den Schüler*innen ist dann doch so, dass ich sie noch ein Jahr länger und durch das Abitur begleite. Aber die Fahrerei schlaucht, zudem ist an der Schule die Atmosphäre insgesamt verbesserungswürdig. Und so kommt es, dass ich im letzten halben Jahr immer eine Straßenbahnstation früher aussteige, um in Ruhe eine Zigarette  zu rauchen und dabei „So Long, Sorrow Town“ von Michael J. Sheehy (von „Ghost On The Motorway“, auch ein schönes Album) zu hören: „well I don’t start nothing that I can’t finish/ but this is a cold and tasteless dish/ so I dust down my coat and pull up my slacks/ I hit the road, I ain’t ever coming back/ so fare thee well all you sons of bitches/ if I don’t leave now I’m gonna leave one of you in stitches/ you bullshit merchants with your airs and graces/ we’ll be in hell next time I see your faces/ So long, sorrow town/ tomorrow I’ll be long gone….”

  • – 30 –

    30 Gene Clark – No Other

    Am Vorabend meines 30. Geburtstags gehe ich das erste Mal seit über 10 Jahren ganz einfach ins Bett. Kein Reinfeiern. Es sind nun 2 Kinder da, knapp ein bzw. viereinhalb Jahre alt. Wir wohnen seit einem halben Jahr in Hannover, in einer kleineren Wohnung als vorher in Berlin, zahlen aber etwas mehr Miete. 

    Mein Studium habe ich eher recht als schlecht abgeschlossen. Für eine Promotion reicht es dann nicht ganz. Und ich habe zwar neugierig studiert, aber die Berufsvorbereitung anderen Dingen untergeordnet. 2003 gibt es ziemlich viele Arbeitslose in Deutschland. Auf einen Magister der Amerikanistik und Geschichte, der noch nie irgendwo ein Praktikum absolviert hat, wartet die Welt in dieser Zeit nicht. Umgekehrt fällt es mir nicht ganz leicht, mich in die Arbeitswelt einzubringen – ich weiß nur bedingt, was meine Stärken und Schwächen eigentlich sind.

    So lande ich in einer vom Arbeitsamt gesponsorten Umschulungsmaßnahme zum „Aufnahme- und Produktionsleiter für Film und Fernsehen“. Eine Erfahrung, die mich teilweise voranbringt und mir ein bisschen Zeit verschafft. Zudem werde ich in der Zeit vom Arbeitsamt bezahlt, was mit zwei Kindern im Hause hilfreich ist.

    Aber hier geht es ja eigentlich um the music that made me. Ich habe mit 30 die Schnauze voll von der Club und Hip Hop Musik, die bei mir und in meiner Umgebung viel läuft, sehne mich nach weniger grellen Klängen. 

    Auf Besuch in Berlin, das sich zu der Zeit wie Heimat anfühlt, lese ich am Tag der Abfahrt in der Berliner Zeitung die Besprechung einer Wiederveröffentlichung: „No Other“ von Gene Clark. Alles an der Rezension gefällt mir. Es handele sich um ein verschollenes Meisterwerk einer verlorenen Seele – mit viel Geld aufgenommen, dann aber ohne nennenswerte Werbung veröffentlicht. 

    Auf dem Weg zum Bahnhof wird also ein Stopp bei Dussmann eingelegt. Es muss schnell gehen. Ich frage nach dem Album. „Müsste da sein, der Chef ist Fan.“ Ich bekomme die letzte CD, wir hetzen weiter zum Bahnhof (ich habe tatsächlich Frau und Kinder mitgeschleppt *kopfschüttel*) und bekommen den Zug in die Metropole an der Leine.

    Vor auch schon wieder drei Jahren schrieb ich drüben bei Manafonistas: (No Other) ist nicht so breitbeinig, wie der schwere Titeltrack vermuten läßt, sondern vorsichtig, zurückhaltend, zweifelnd. Und doch von einer klanglichen Opulenz, die ihresgleichen sucht – hier wurde viel Geld ausgegeben, um genau den richtigen Sound zu finden. Die Musik, eine in den 70er Jahren angerührte Melange aus Country, Folk und Soul, berührt den Boden kaum, in den beiden längeren Stücken „Lady of the North“ und „Some Misunderstanding“ kommen mehr Instrumente zu Gehör, als eigentlich im Studio waren. Ein  Meisterwerk, das vom Verlust von Träumen, und dem übrig geblieben Schatten, handelt.

  • – 25 –

    25 – Blumfeld – Old Nobody

    Fast wird mir schwindelig, wenn ich an meine Jahre Anfang bis Mitte 20 denke. Auszug von zu Hause. 5 Umzüge: nach Potsdam, dann noch zweimal innerhalb Potsdams, nach Potsdam, New York im Nordosten der USA – ein Auslandsjahr an der Partneruniversität – mit Mitte 20 schließlich nach Berlin. WG Leben. Ich studiere Anglistik/Amerikanistik und Geschichte. Ich lerne meine jetzige Frau kennen. Ich werde Vater.

    Klar, jede Menge Musik. Elektronische Musik kommt in mein Leben. Reggae, Dub. Trip Hop. Stundenlanges Tanzen in Berliner Clubs. Berlin ist in den 90er Jahren ein toller, für mich magischer Ort, viele Nischen, viele Freiräume. Durchfeierte Nächte. Und alles ist sehr günstig.

    An meinem 25. Geburtstag, meine Freundin ist schwanger, feiern wir eine große WG-Party. Viele Freunde kommen, auch H und C, die damals bei der Musikzeitschrift Intro arbeiten. Sie bringen mir eine gebrannte CD mit, darauf das neue Album von Blumfeld, das erst in 6 Wochen erscheinen wird. Old Nobody.

    Blumfeld hatten 1992 und 1994 jeweils ein Album veröffentlich, Ich-Maschine und L’etat Et Moi. Gitarren, Bass und Schlagzeug, eine flirrende Musik, mit seltsam atemlosen, vom Hip Hop beeinflussten, eher gesprochenen als gesungenen Texten, Geflechten aus Zitaten, Alltagssprache, Poesie und Diskurs, inhaltlich zwischen Gesellschaftsanalyse und Liebesliedern. Chiffernschriften, die sich in meine Gedanken einnisten.

    Und nun also diese CD. Ich packe die zur Seite, mixe Cocktails, wir feiern bis zum Morgengrauen, überall in der Wohnung schlafen Menschen. Dann zum Frühstück lege ich sie in den Ghettoblaster in der Küche. Das erste Stück ist ein langes Gedicht, spoken words, wird schnell übersprungen.

    What is this shit? Statt verzerrten Gitarren eine Drum Machine, Keyboard Flächen, sanfte, verträumte Gitarrenklänge. „In mir 1000 Tränen Tief/ Erklingt ein altes Lied/Es könnte viel bedeuten“. Eindeutige Texte, der Sänger Jochen Distelmeyer singt davon, in den Alltag zu wollen, stets dem Leben zugewandt zu sein, darüber sich gegenseitig „tief, ganz tief“ in die Augen zu sehen, „Küss mich dann/Wie zum ersten Mal“, „Da steht ein Pferd auf dem Flur.“ Und genau: er singt, ich mochte es doch immer so gerne, wenn er spricht. Und: es gibt im zweiten Song einen Kinderchor. 

    Der zweite Song klingt wie eine weichgespülte Blumfeld Coverversion, der nächste ist wieder schrecklich melodisch, im dritten läuft ein Disco Beat im Hintergrund. Was bitte ist hier los, was soll das?

    Wir coolen Menschen Mitte 20 stehen verkatert in der Küche und sind ratlos, warum unsere Helden nicht mehr cool sind. Sondern: Gefühlvoll, weich, poppig. Und dann machen wir das Album wieder an. Und wieder. Und wieder. Und es läuft immer noch. In fünf Wochen gehe ich – doppelt so alt wie 1998 – zum Solo Konzert von Jochen Distelmeyer. Ick freu mir drauf.

  • – 20 –

    20 A Tribe Called Quest – Midnight Marauders

    Als kleiner Nachtrag: Zwischen 10 – 15 bin ich ein eher zurückhaltender, introvertierter (vor-) pubertärer Jugendlicher. Jeans, Strickpulli, Turnschuhe. Im Gymnasium an guten Tagen ein mittelmäßiger Schüler, „blaue Briefe“ flattern mehr als einmal ins Haus. Ich lese viel, Krimis von Edgar Wallace oder Agatha Christie, was halt so zu Hause rumsteht. Recht früh lese ich (wohl in der 8. Klasse) „Der Fänger im Roggen“ und „Die neuen Leiden des jungen W.“ und bin beeindruckt von der Unangepasstheit der Hauptfiguren – und deren Ablehnung der Gesellschaft.

    Und mit 16 ändert sich einiges. Das Feiern tritt in mein Leben. Parties in Gemeindezentren und im Haus der Jugend. Manchmal auch Discos (ich darf bis 22:00 draußen sein). Alkohol. Schüchterne Schwärmereien. Und auf einmal jede Menge neue Menschen.

    Der Soundtrack dazu ist vielfältig. F bringt eine Kassette mit – wahrscheinlich sind wir gerade 16 geworden, meine Eltern sind nicht zu Hause, sturmfrei. „Indie Mix“ ist der Titel, darauf sind die Pixies, They Might Be Giants, Hüsker Dü, Dinosaur Jr, Phillip Boa, Snuff, Nomeansno, vielleicht auch schon Yo La Tengo. Außerdem hat er sich schon eine Schallplatte mit dieser neuen Musik gekauft: „In God We Trust, Inc“ von den Dead Kennedys. Die Lieder sind – mit einer Ausnahme – unter 2 Minuten lang, alles ist sehr laut, sehr verzerrt, sehr schnell, sehr super. Nachdem wir erst das Tape und dann die LP gehört haben, sieht meine musikalische Welt sieht anders aus.

    Und irgendwie kommt in der Zeit, vielleicht etwas später, Hip Hop in mein Leben. Sicher auch durch ein Mix Tape (von denen ich auch selber unzählige aufnehme und verschenke, als ich mein Tape Deck zur Reparatur bringen will, werde ich gefragt ob es im Profigebrauch gewesen sei). Sicher vor allem durch Artikel in der Zeitschrift Spex, die schnell den Musik Express ablöst und die ich bis sie schließlich 2018 eingestellt wird immer wieder lese. 

    Als ich 19 war habe ich aber den Blues und zwar so richtig. Meine Freundin hat Schluss gemacht, kurz vor der mündlichen Abi-Prüfung. Das zieht mir tatsächlich den Boden unter den Füßen weg, ich bin für ein halbes Jahr zu kaum etwas zu gebrauchen. 

    Gleichzeitig beginnt mein Zivildienst. Ich betreue eine Studentin, Mitte 20, die im Rollstuhl sitzt. Ihr Freund lebt in Trier, dorthin begleite ich sie immer wieder. Und dort, in einem kleinen Eckladen, stehen im November 1993 auf einmal zwei CDs, auf die ich schon sehr lange warte: „Doggy Style“ von Snoop Doggy Dog und „Midnight Marauders“ von A Tribe Called Quest.

    Sehr lange Vorrede, aber das zweite Album geht es mir. Diese unglaublich positive und lebensbejahende Musik holt mich ins Leben zurück. Die Welt ist auf einmal nicht mehr schwarz-weiß, sondern farbig. Der Einfallsreichtum der Musik, die Detailverliebtheit, der rote Faden, der durch eine Art Moderatorin gesponnen wird, die Texte – all das macht einen großen Eindruck auf mich, bereitet mir Freude. Aber das Beste sind die beiden Rapper: das Zusammenspiel von Mastermind Q-Tip mit dem anti-hesitatorfunky diabetic Phife Dawg ist einzigartig. Und all das macht mir mit 50 immer noch viel Spaß und gute Laune. Musik hat mir aber noch nie so viel Trost gespendet wie im November 1993.

    (Ich habe lange überlegt, ob ich nicht doch das Album „Illmatic“ des Rappers Nas nehme, über das ich irgendwann noch einmal schreibe. Ein Gitarrenalbum hat sich komischerweise nicht so aufgedrängt, kommt aber dann zum Eintrag 25.)

  • – 15 –

    15 Talk Talk – Spirit Of Eden

    Zwischen 10 – 15 erweitert sich mein Radius. Kommt vorher die Musik entweder durch meine Eltern, meine große Schwester oder das Radio in mein Kinderzimmer (bzw. durch den Fernseher ins Wohnzimmer), werden die Tore zur Welt immer größer, zahlreicher, die Möglichkeiten Musik zu hören auch. Aus dem Kinderzimmer ist ein größeres Jugendzimmer geworden, ein Auslandsaufenthalt meiner Schwester löst innerhalb des Hauses einen Raumtausch aus. Und der Radiorekorder wird durch eine gebrauchte Kompaktanlage von Schneider abgelöst.

    In der mittelgroßen niedersächsischen Stadt gibt es allein in der Fußgängerzone 5 Läden (mit Namen wie Record Corner, Brinkmann, Montanus Aktuell oder Radio Deutsch), die mindestens eine große Abteilung für Schallplatten, Kassetten und die neuen, funkelnden CDs haben.

    Dann gibt es da noch eine wunderbare Institution: die Musikbibliothek. Die ist in einem spätmittelalterlichen Gebäude mitten in der Stadt ansässig und hat zwei Besonderheiten. Zum einen den großen Saal (die Decken müssen mindestens 4 m hoch sein) mit Hörplätzen. Ich kann also im Katalog nachschauen, was ich hören will, der Bibliothekar (ein sehr freundlicher Mensch) sucht mir den Tonträger aus dem Archiv und macht ihn an. Ich bin an meinen zugewiesenen Platz, setze die Kopfhörer auf und tauche in die Musik ein. Etwas später gibt es dann dort die Möglichkeit, sich CDs auszuleihen. Es ist natürlich streng verboten, die dann auf eine Leerkassette aufzunehmen, aber daran hat sich auch damals niemand gehalten. Wobei ich mir einbilde, dass meine Eltern ziemlich streng gucken.

    Mit 12 oder so beginne ich dann außerdem regelmäßig „Musik Express / Sounds“ zu lesen. Im ersten gekauften Heft ist „Gracelands“ von Paul Simon die Platte des Monats, die dann auch gleich gekauft wird – immer noch ein schönes Album mit einigen tollen Songs. Auch ansonsten ist mein Musikgeschmack nicht sonderlich ausgefallen: U2, Supertramp, Queen, Dire Straits, The Housemartins, David Bowie, Die Toten Hosen, Rolling Stones, Marius Müller-Westernhagen, The Cure, immer noch The Beatles und etwas später kommen dann The Doors oder Pink Floyd dazu. Schlussendlich spiele ich zwei, drei Jahre E-Bass und komme in Kontakt zu der Jazz Musik von Weather Report oder Chick Corea.

    Eines Tages lese ich im „Musik Express / Sounds“ die Besprechung einer Platte des Monats: Spirit Of Eden von Talk Talk. Der Rezensent ist schwer begeistert, die Beschreibung der Musik klingt interessant, ungewöhnlich, das Cover sieht wunderschön aus. Und als ich am Freitag derselben Woche meine Runde in die Musikbibliothek mache, hat der freundliche Bibliothekar gerade die neuen Erwerbungen einsortiert, darunter eben die neue Talk Talk, die ich mitnehme, genau so wie „The Whole Story“, eine Greatest Hits Compilation von Kate Bush.

    Nach dem ersten Hören habe ich Kopfschmerzen, so etwas habe ich noch nie gehört. Was ist das für Musik – ist es überhaupt Musik? Die CD läuft das ganze Wochenende, meine Familie ist genervt (‚kannst Du nicht wenigstens mal etwas anderes anmachen?). Für mich ist die Musik wie ein Rätsel, das ich ergründen möchte. Ich nehme sie auch auf Kassette auf, „The Whole Story“ kommt auf die Rückseite. An dem Wochenende ist in der Tageszeitung ein Gemälde von Dalí in schwarz-weiß abgedruckt, das ich ausschneide und als Cover benutze.

    Und ich kaufe mir „Sketches Of Spain“ von Miles Davis als meine erste eigene CD überhaupt. Im Musik Express stand, dass das ein Lieblingsalbum von Mark Hollis sei.

    Insgesamt läuft in der Zeit „Spirit Of Eden“ sicher nicht so oft wie „Damenwahl“ von den Toten Hosen. Aber ich habe seither das Talk Talk Album sehr viel häufiger gehört, es hat mich musikalisch geprägt, hat Türen in unterschiedliche Richtungen geöffnet – Jazz, Avantgarde, Psychedelia, Blues – und mich die Schönheit von Klängen gelehrt.

  • 5 – 10

    Bei Pitchfork gibt es die schöne Reihe „5 – 10 – 15 – 20“ , in der Künstler über die Musik ihres Lebens erzählen und dabei alle 5 Lebensjahre einen Eintrag setzen. Ein ganz passendes Thema für einen Blog Post, auch weil ich die fünfer Reihe seit letztem Jahr einmal durch habe. Also, habt Geduld mit mir, hier kommt die Musik, die mich geprägt hat, immer 10 Jahre auf einmal, sonst kann das ja niemand lesen. (Inspiriert hat mich dazu Stephan Kunze von zensounds, dessen Post sich größtenteils hinter einer Paywall versteckt).

    5 Beatles „Greatest Hits“

    Um ehrlich zu sein habe ich nur wenig Erinnerungen daran, in diesem Alter Musik gehört zu haben, trotz einer 5 Jahre älteren Schwester. Im Auto liefen aber oft Kassetten, obwohl meine Eltern sich auch bei der Musik selten einig waren. Ich erinnere mich daran viel Louis Armstrong gehört zu haben, „Simon & Garfunkel’s Greatest Hits“, aber vor allen erinnere ich eine „Greatest Hits“ Compilation der Beatles – vielleicht hieß die Zusammenstellung auch „Best of“, ich habe sie nicht wieder gefunden. Goldene Schrift auf weißem Hintergrund. Einige Lieder mochte ich besonders: „Penny Lane“, „Yellow Submarine“, „She Loves You“, „I want to hold your Hand“, „Help“ – eher die frühen, scheinbar fröhlichen Songs, zu denen ich auf der Rückbank rumhampeln konnte.

    10 – Trio „Da Da Da“

    Mit 10 hatte ich nun wirklich schon meine ersten eigenen Kassetten. Meine Schwester überredete mich, mir „Let’s Dance“ von David Bowie zu Weihnachten zu wünschen. Das ist natürlich immer noch ein Klasse Album, aber wenn ich ehrlich bin habe ich das damals nicht wirklich oft gehört. Ganz selten kann es auch nicht gewesen sein, ich habe die Abfolge der Lieder immer noch präsent und es war damals ja nicht so viel Musik verfügbar, da musste ich mit dem wenigen auskommen, was ich hatte.

    Ganz toll war es, Lieder aus dem Radio aufzunehmen. Die Leerkassette steckte immer im Tapedeck. Das erste stand ganz nahe am Radio, es wurde also noch aus den Lautsprechern aufgenommen, aber irgendwie hatte ich dann bald eine Kombination aus Kassettenrekorder und Radio, mit der das einfacher ging. Und dann war ich froh, wenn der Moderator die Lieder angekündigt hat und eine kurze Sprechpause vor dem Lied kam. Oft waren auf den Kassetten aber die ersten Töne verschluckt und die Moderatoren sprachen über die Schlussakkorde der Stücke. Egal. Hauptsache Musik.

    Ich war trotzdem glücklich, endlich die aktuellsten Hits der Neuen Deutschen Welle zu haben. Oder Culture Club. Matt Bianco. Paul Young. Und das ganze dann auch noch einmal die Woche bei Formel Eins (unvergessen der Name Kai von Kotze im Abspann) oder der ZDF Hitparade mit Dieter Thomas Heck (der Auftritt von Purzle Schulz mit dem Song „Sehnsucht“ hat mich damals verstört, ich konnte nicht einschlafen).

    Trio waren da natürlich die coolsten in meiner nicht mehr ganz kleinen Kinderwelt. „Da Da Da“ war wirklich sehr seltsame, ungewöhnliche, fremde Musik, die beim Hören einen wohligen Schauer auslöste – ich musste immer wieder unfreiwillig lachen. Und das mit dem Rumhampeln, das ging dazu natürlich auch richtig gut. (tbc)