Die blaue Rhapsodie

Ich hörte „Rhapsody in Blue“ zum ersten Mal in meiner Kindheit Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums löste der Pianist Ethan Iverson neulich eine lebhafte Debatte aus, indem er in der New York Times die künstlerische Wirkung dessen untersuchte, was er als „naiven und kitschigen“ Versuch bezeichnete, die oberflächlichen Merkmale des Jazz mit der europäischen Klassik zu verschmelzen – damals wie heute. Wenn „Rhapsody in Blue“ ein Meisterwerk ist, so schrieb er, dann ist es sicherlich „das schlechteste Meisterwerk“: ein unbequemer Kompromiss, der den Fortschritt dessen blockierte, was später „Third Stream“ genannt wurde, und mit dem wir sowohl „gesegnet sind als auch feststecken“. Dank des Einflusses meiner Mutter betrachte ich es aus einem etwas anderen Blickwinkel. Für mich war es in meiner Kindheit eine Einstiegsdroge. Ich liebte die spektakuläre Klarinetteneinleitung, die wechselnden Melodien und die Andeutungen von Synkopen, aber vor allem reagierte ich auf die Tonalität, die den Titel widerspiegelt. Es dauerte nicht lange, bis ich einen Weg einschlug, der zu Duke Ellington, Charlie Parker, Thelonious Monk, Miles Davis, Charles Mingus, John Coltrane, und all den anderen, bis hin zu den Vijay Iyers, Matana Robertses und Tyshawn Soreys des heutigen Jazz. Schon bald hatte ich herausgefunden, dass eine Unze Ellington mehr wert ist als eine Tonne Gershwins Instrumentalmusik, aber ich bewahre mir eine respektvolle Dankbarkeit gegenüber „Rhapsody in Blue“ und seiner Rolle als Einstieg, genauso wie gegenüber „The Glenn Miller Story“ und „Take Five“. Das, was ich hier nicht als Zitat ausgewiesen habe, ist die stark gekürzte Übersetzung eines neueren Textes von Richard Williams. Aus seinem Blog „The Blue Moment“, Teil unseres Blogrolls. Neben den Mentoren, die ich in meinen gut drei Jahrzehnten Radio hatte, Volker Bernius, Harald Rehmann und Michael Naura, war Richard Williams in meiner Studentenzeit in gewisser Weise auch ein Mentor. Seine Texte in Melody Maker waren die eines Wahlverwandten – er wusste Brücken zu schlagen zwischen Claude Debussy, Jan Garbarek und Brian Eno. Nicht einmal lege ich eine Schallplatte von Walt Dickerson auf, ohne kurz an Richards knappe Einführung in die poetischen Sphären des Free Jazz zu denken… und ein Fussballnarr ist er auch! Diese feinen geistigen Verbindungen, getriggert allein durch Worte, Klänge, Stories! (r.w. + m.e.)

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