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Peter Thomas: The Tape Masters, Vol. 1
(in english language here)
Wer die 1960er und 1970er Jahre bewusst mitbekommen hat, der weiß mit ziemlicher Sicherheit, wer Peter Thomas war. Selbst wer den Namen nicht kennt, hat Musik von ihm gehört. Speziell wird jeder, der sich für Filmmusik im Allgemeinen interessiert, bei dieser Namensnennung aufhorchen.
Das Peter Thomas Sound Orchester (PTSO) war und ist ein klingender Name: Da war 1966 die siebenteilige TV-Serie Raumpatrouille, die natürlich jeder kennt (und sie bestand durchaus aus mehr als nur einem Bügeleisen), das Jahrzehnt brachte auch die Jerry-Cotton– und die Edgar-Wallace-Filme hervor, fester Bestandteil deutscher Trashkultur. Aber auch ein Meisterwerk wie Dr. Murkes gesammeltes Schweigen (nach der Satire von Heinrich Böll) stammt von 1964. Und die Durbridge-Straßenfeger. Nicht zu vergessen auch die grotesk-bombastische Constantin-Film-Fanfare. In den 1970ern kamen dann Der Kommissar, Derrick, Der Alte oder die ZDF-Show Der große Preis; im Kino gab es lausige Sex-Gurken wie den St. Pauli-Report, der Trash der Siebziger. Und überall hat das PTSO seine Spuren hinterlassen.
Nächstes Jahr wäre Peter Thomas 100 geworden. Das hat er leider nicht mehr ganz geschafft, 2020 hat er seine kosmische Adresse gewechselt. However, in jenen Jahren war er der deutsche Filmkomponist schlechthin — hunderte von Musiken, ähnlich wie Andy Warhol in seinen frühen Jahren nahm er offenkundig jeden Auftrag an, der zu bekommen war und lieferte zuverlässig bestmögliche Qualität, je nach Zeitrahmen und Budget. Er war unglaublich produktiv, selten waren seine Musiken langweilig, sein Sound, seine Melodieführung war fast immer erkennbar. Nicht selten waren seine Musiken besser als die dazugehörigen Filme.
Letzteres verdankt sich nicht zuletzt den Musikern, mit denen er immer wieder zusammenarbeitete, stellvertretend für etliche seien Lothar Meid, Klaus Doldinger, Otto Weiß, Olaf Kübler, Jan Hammer, Ingfried Hoffmann und Albert Mangelsdorff genannt. Denen ließ er, anders als andere Komponisten, große Freiheiten; nicht selten basierten seine Musiken auf Leadsheets, über die mehr oder weniger improvisiert wurde. Mit Eminenzen wie den genannten ging das. Aber auch die Arbeit mit Big Bands und Rundfunkorchestern hatte Thomas penibel drauf. Er war flexibel genug, mit allem zu arbeiten, was sich anbot.
Und doch fällt in seinen Musiken eine Vorliebe für bestimmte Standardbesetzungen auf: eine Rhythmusgruppe mit Solisten wie den genannten, dazu elektronische Orgel (selten mal ein Klavier), E-Gitarren, E-Bass, dazu Bläser, fast immer drei oder vier Posaunen. Deren Klang war durchaus prägend, das Ganze dann garniert mit viel klingendem Metall, Röhrenglocken, auf der Kuppe angeschlagenen Becken, dazu textlos singende, hohe bis sehr hohe Frauenstimmen (die waren in den 60ern en vogue), alles zusammen übergossen mit kathedralartigem Hall. Das war der Sound Peter Thomas‘. Man erkannte ihn sofort.
Aber er hatte auch einen Draht zu klanglichen Experimenten. Für die Raumpatrouille verwendete er einen Vocoder. Vermutlich war er damit der erste Musiker, der ein solches Gerät in der Musik einsetzte, lange vor Kraftwerk. Zusammen mit dem Wiener Ingenieur Hansjörg Wicha entwickelte Peter Thomas das Thowiphon, ein Tasteninstrument, das bereits den später entwickelten Synthesizer vorwegnahm.
Und weil das alles noch nicht reichte, spielte Peter Thomas über seine Auftragskompositionen hinaus unter mehreren Pseudonymen auch sogenannte Archivmusik, auch Stock Music oder Library Music genannt, ein. Darunter sind Kompositionen zu verstehen, die bestimmte Stimmungen und Atmosphären wiedergeben, auslösen oder unterstützen. Sie stehen dann in Musikarchiven zur Verfügung, katalogartig sortiert nach Kategorien wie „Abendstimmung“, „Verfolgungsjagd“, „romantische Liebe“, „Weltall“ und was immer man sich sonst noch vorstellen mag. Werbespots, Wissenschaftsdokumentationen, Tierfilme et cetera geben selten Originalkompositionen in Auftrag, sie greifen stattdessen auf solche Archivproduktionen zurück.
Und einige dieser Archivmusiken von Peter Thomas sind nun erstmals erhältlich. Sein Sohn Philip, der sich seit einigen Jahren dahinterklemmt, Thomas‘ hunderte hinterlassene Tonbänder durchzugehen, zu restaurieren und sie sinnvoll zusammengestellt zu veröffentlichen, hat jetzt 25 solcher Archivtracks zusammengefasst.
Diese Tape Masters Vol. 1 bieten auf zwei 10-inch-LPs einen Querschnitt durch Thomas‘ Archivschaffen, und man staunt, wie vielfältig das ist. Große Besetzungen wechseln sich ab mit kleinen Combos, elektronische Experimentierereien kontrastieren mit eher hingeworfenen Skizzen, Klänge, die an Auftragskompositionen anknüpfen, folgen auf völlig eigenständige Werke, satter, jazziger Bigbandsound folgt auf Harfenklänge, Zupfgeigen oder spacige Weltraumsounds in der Nachfolge des Raumschiffes Orion, auch ein schräger „Nightmare on LSD“ ist zu hören. Die meisten Stücke bewegen sich zwischen 1:30 und 2:30, zu hören inzwischen auch in den üblichen Streamingdiensten.
Diese Scheibe ist schon jetzt ein ziemlich sicherer Kandidat für meine Jahresliste. Unbedingte Empfehlung.
geschrieben von Jan Reetze
(Diese ganz besondere Doppelvinyl-Edition ist auf 500 Exemplare limitiert. Natürlich kann man sie auf Tidal und wohl auch anderen streaming-Plattformen hören. Ich habe mir ein Exemplar gesichert, und einer Seite bereits mit grosser Freude und innerem Lächeln gelauscht. Top 8 auf meiner 2024er Liste von „reissues & archival discoveries“😉. Ein unbesungener „Held“. Eine heimliche Fantasie meinersetis, die erste meiner vier letzten Klanghorizonte-Stunden im März 2025 mit einer Peter Thomas-Komposition zu beginnen. Aber was, um alles in der Welt, kann man nach einem Peter Thomas-Stück spielen? Vielleicht Samtvogel-Musik?! (m.e.))
Günter Schickert: Samtvogel
„Günter Schickert ist nur den eingefleischtesten Krautrock-Sammlern ein Begriff. Diese Unbekanntheit ist ein Bärendienst, denn der in Berlin geborene Gitarrist hat sich mit Samtvogel einen Platz in der offiziellen Liste verdient. Samtvogel wurde 1974 in Eigenregie veröffentlicht und ein paar Jahre später von Brain für eine breitere Veröffentlichung aufgegriffen und macht Schickert zu einem Meister der Echo-Gitarre. Die drei Tracks bewegen sich irgendwo zwischen dem exzentrischen Jammen von Faust und dem quecksilbrigen Gitarren-Layering von Ash Ra’s Manuel Göttsching (wobei anzumerken ist, dass Schickert zuerst da war, denn Samtvogel erschien ein Jahr vor Göttschings LP Inventions For Electric Guitar von 1975 ). „Apricot Brandy“ ist ein gnomischer Kinderreim-Blues, den Schickert mit plätscherndem Echo umhüllt, und macht den Anfang im Songbereich. Doch beim seitenlangen „Wald“ hat Schickert die Songform völlig verlassen und webt mit seiner Echo-Box und der E-Gitarre ein Gitter aus schimmernden Klängen, so komplex und schön wie ein mattes Spinnennetz.“ (übersetzt von deepl)
Als ich Louis Pattisons Kurzbesprechung der Neuauflage (Vinyl, Cd) des mir unbekannten Günter Schickert-Debuts „Samtvogel“ las (1974), rief ich bei bureau b an und liess mir die Platte kommen. Ich schaute nicht nach, ob Jan dazu was in seinem Krautrockbuch geschrieben hatte, ich legte das Album im Dunkeln auf und kam von Anfang bis Ende nicht aus dem Staunen raus. Den Vergleich mit exzentriischem Faust-Jamming würde ich so nicht unterschreiben. Ich wusste rein gar nichts über dieses Album, kannte den Namen nir von weiter Ferne, machte mir ein paar Gedanken Richtung Minimalismus und Steve Reichs „It’s Gonna Rain“ und „sehr eigener Sound“, und ob er wohl „No Pusyfooting“ von Fripp & Eno mochte, und wünschte mir im Nachgang „liner notes“ von Asmus Tietchens. Tatsächlich fand ich seine blitzgescheite Lobrede auf das Album hinterher auf der Innenhülle des Albums. Ich schmunzelte. Tolles Album! Landete sofort beim meinen reissues 2024“ (s. Blog Diary 15. November), in bester Nachbarschaft. Und so gut kann ich mich an meine klanglichen Vorlieben 1974 erinnern: hätte ich die Platte damals gehört in Winfrid Trenklers „Schwingungen“ mit Bo Hanssons Intro-Musik, ich hätte eines der 500 ersten Exemplare (in Eigenregie fabriziert) sofort gekauft.. (m.e.). Besser spät als nie. Danke, Günter! Über „Samtvogel“ wird noch zu reden sein. Tolle Pressung. Toll klingendes Remaster! Far-out, gewiss, aber wunderbar hypnotisch! Bei aller Reduktion besitzt das Album ein immens reiches Innenleben, das es weit über ein rein historisches Interesse hinaus zu einem zeitlosen Klangabenteuer macht. Große Worte, zugegeben, aber gelassen ausgesprochen. (m.e.)