Steve Tibbetts: Close


Im folgenden eine ganz leicht gestraffte Übersetzung von Tyran Grillos Besprechung des Albums….danach meine Gedanken zu dem Album, die gar nicht als Plattenkritik gedacht waren, eher als freie Assziationen nach einigen Hörsessions. Und als drittes folgt eine Besprechung aus „The Big Takeover“, die noch ein paar zusätzliche Fakten und Wahrnehmungen ins Spiel bringt. „Close“ wird mein Album des Jahres sein, und ich freue mich darüber hinaus, dass es so eine grossartige, inhaltlich fundierte, aber auch poetische Ebenen der Sprache befeuernde Rezension gibt wie die von Mr. Grillo! (m.e.)


MIT DER LEICHTIGKEIT EINES FUCHSES

Auf „Close“ kehrt der Gitarrist Steve Tibbetts mit seinem ständigen Verbündeten, dem Perkussionisten Marc Anderson, zurück, zu denen sich der Schlagzeuger JT Bates für eine Session von immenser Intimität gesellt. Wenn langjährige Klassiker wie „Exploded View“ und „Big Map Idea“ Ihre Ohren auf eine bestimmte Richtung eingestimmt haben, können Sie diese Erwartungen getrost beiseite legen.  Dieses Mal bietet uns Tibbetts implodierte Ansichten („imploded views“) und kleine Kartenideen („small map ideas“). Und obwohl diese wie gewohnt sorgfältig und doch organisch gestaltet sind, erfordert es Meditation, wiederholtes Hören, um ihr volles Potenzial zu erkennen,

Umso passender ist es, dass das Album mit „We Begin“ beginnt, einem Stück, in dem sich ein tiefer, gewundener Klang von Horizont zu Horizont erstreckt. Wie viele der Stücke auf diesem Album entfaltet es sich in mehreren nummerierten Teilen, von denen jeder eine ineinandergreifende Erfahrung verkörpert, die auf der vorherigen aufbaut. In Teil 2 beispielsweise verleiht die Einführung von Handtrommeln dem Geschehen Schwung und Erdverbundenheit, während Tibbetts von einem Register zum nächsten wechselt und dabei mit der Leichtigkeit eines Fuchses, der ohne nachzudenken seine Fellfarbe wechselt, die Terrains tauscht. Die Jahreszeiten sind sein Kompass, während er sich durch das Unterholz schleppt, wenn der Winter naht. Hin und wieder ist das zarte Trippeln von Hundepfoten zu hören, das den Waldboden mit Rhythmen markiert, die älter sind als wir alle zusammen.

In „Away“, einem weiteren dreiteiligen Wunderwerk, dringen Anzeichen von fernem Donner in unser hörbares Blickfeld. Da er keinen Regenschirm hat, bastelt Tibbetts sich einen aus den Materialien, die ihm zur Verfügung stehen: Seine Saiten bilden die Metallstreben, die Percussion das Gewebe dazwischen und die Melodien selbst den Stab und den Griff, wo sie aufeinandertreffen. Und auch wenn es nie zu regnen beginnt, ist das in Ordnung. Die Schönheit lag in der Vorfreude auf den Regenguss.

Es geht nicht nur um Farne und Wedel, denn „Remember“ bietet auch etwas rauere Texturen, die an die Soloarbeiten von Andy Hawkins erinnern. Faszinierend ist hier, wie der Titel als Metapher für das Zuhören gelesen werden kann: Beides erfordert eine gewisse Sensibilität für Geräusche und Bewegungen, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen. Es gibt ein Gefühl des Fließens, das außerhalb der Zeit existiert, insbesondere in dem Klavier, das Tibbetts in Teil 2 hinzufügt und das dem Ganzen einen noch nostalgischeren Anstrich verleiht.

„Somewhere“, „Anywhere“ und „Everywhere“ sind gewissermaßen ein eigenständiges Triptychon. Sie bestehen hauptsächlich aus kurzen Atemzügen und umschließen das langsamste Brennen in Teil 3 von „Somewhere“. (Es handelt sich auch um ein buchstäbliches Brennen, da die Röhren in Tibbetts‘ Verstärker bei 4:06 in Flammen aufgehen – hören Sie sich ihr befriedigendes Verglühen an! Darüber hinaus begegnet man Andeutungen von Walgesängen, Totenglocken und anderen dunklen Wendungen, die alle in „We End“ ihre endgültige Ruhe finden. Es ist eine Blume ohne Vase, die stattdessen der Wasseroberfläche geschenkt wird.

Auf dieser melodiösen Reise werden wir von zwei unterschiedlichen Stimmen begleitet. Die eine ist die 12-saitige Gitarre, die Tibbetts nicht wie üblich in Oktaven, sondern in Doppelchören bespannt hat; die andere sind seine akustischen und elektrischen 6-saitigen Gitarren, bei denen er das tiefe A und E auf G bzw. C heruntergestimmt hat. „Es ist immer ein Bass-Drone vorhanden“, erklärt er den Effekt. „Dadurch bleiben alle Melodien in derselben Tonart. Ich fühle mich damit wohl, da ich einige Zeit mit Gamelan-Ensembles, tibetischen Langhörnern, Hofmusik aus Java und Hardangerfiedeln aus Norwegen verbracht habe. Die meisten Musikstile der Welt bleiben in der einen oder anderen Tonart.“ Das stimmt, und umso mehr Grund, die sehnsüchtige, klagende Qualität seines Anschlags zu schätzen. Wie bei der Sitar passiert so viel, nachdem der Kontakt hergestellt wurde.

Dies ist bei weitem das zarteste Album von Tibbetts, aber gerade deshalb spricht es das Herz umso direkter an. Es hat etwas einzigartig Spannungsreiches, das nur er zum Ausdruck bringen kann. Er ist ein Meister der Suspensionen: Selbst in der Stille spürt man die Spannung in seinem Innersten. Die kumulative Wirkung grenzt an eine autonome sensorische Meridianreaktion, bei der das Knarren der Saiten und Bünde das Rückgrat des Universums zum Kribbeln bringt. Wie eine Sternschnuppe in Zeitlupe besitzt es Zeitrafferqualitäten. Und gerade wenn man denkt, Tibbetts würde abheben und einen zurücklassen, landet er wieder auf dem Boden und sorgt für eine sichere Reise.


„Hello, darkness, my old friend“ – some thougts on „Close“

Steve Tibbetts‘ new album is sailing stars. It is a kind of shadow play, too. The love of life, the losses. It is glowing from start to end, with two, three explosions along the way. Things can explode in quietude, too, on this haunting melange of electric and acoustic guitars with discreet and, sorry to repeat myself, „glowing“ percussion every once in a while. A thousand miles away from an old hippie‘s shangrila. Hotel California has shut its doors.

The playing of the Minneapolis-based musician is instantly recognizable: it circles around small rhythmic-harmonic sound cells with all kinds of drone sounds and finest beats— and, breathtaking, though never forgetting to breathe: the silences, the minimal zero points, the moments of nothing lasting fractions of a second or two.

„CLOSE“ is like a dark Rothko painting on fire, in purely metaphorical and sensual ways. The tracklist reads like a Samuel Beckett poem. And, in regards to these invocations, I ask myself: how can something „noir“ like this be so elevating, so heartwarming?!

And now, a mood line, and a timeline with a twist:

Pharoah Sanders has made „TAUHID“, Jan Garbarek has made „DIS“, Van Morrison has made „VEEDON FLEECE“, Julian Priester has made „LOVE, LOVE“, Julie Tippetts has made „SUNSET GLOW“, David Darling has made „CELLO“, Laurie Spiegel has made „THE EXPANDING UNIVERSE“, Arve Henriksen has made „CHIAROSCURO“, Bill Callahan has made „APOCALYPSE“, Lambchop has made „SHOWTUNES“, and Steve Tibbetts has made „CLOSE“.

Glowing affairs all of them. Honestly, this album breaks my heart.

Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk


A deceptively tranquil dance

Though he’s open enough in interviews and press releases, there’s always been an air of mystery around guitarist and composer Steve Tibbetts. That’s because his music comes from a different place from anyone else’s. Familiar elements often pop up in his songs and performances – jazz, rock, psychedelia, experimental, and, most importantly, folk music from around the world. But his records never sound familiar in and of themselves, at least not to anyone not already immersed in his sonic vision. A Tibbetts record always seems to have simply appeared from Somewhere Else. 

Close, his first album in seven years (which is about right for him), stays that course. Tibbetts’ thirteenth studio album (his fourteenth if you count 2022’s artist-curated anthology Hellbound Train), features something that some fans had despaired of hearing again on one of his records: electric guitar. But Close isn’t a return to the soundwaves enveloping past classics like Yr and The Fall of Us All. Tibbetts uses his amplified axes as textural elements, painting backgrounds full of grey clouds and twilight illumination over which he explores thoughtfully meandering melodies. Drummer JT Bates and longtime percussion partner Marc Anderson provide tribal rumblings that keep a sense of momentum, if not strict time, and keep the foundation pitching like an undulating ocean. Multi-chapter epics like “Remember” and “We Begin” present duets of ragged beauty and empathic dissonance, each song a deceptively tranquil dance between introspective and extroversion. 

While most of Close exists in a meditative space, it’s not new age wallpaper – there’s always plenty going on under the surface of a Tibbetts piece to keep your ears on edge. And don’t count out a return to the raging firestorms of songs like “Dzogchen Punks” or “Ur” – “Somewhere Part 3” and “Everywhere, Part 4” feature menacing electric riffs in the background that threaten to overwhelm the acoustic melodies, which suggests some aggression itching to burst loose. In the meantime, Close takes us on the kind of enigmatic but enticing journey we’ve come to expect from Tibbetts: strange and beautiful.

Michael Toland, The Big Takeover