Kollaps

(English version here)
Offenkundig hat man im Hause Bloomsbury entschieden, die bekannte 33 1/3-Serie um regionale Ausgaben zu erweitern; unter dem Oberbegriff „33 1/3 Global“ sind bis jetzt Bücher über Werke aus Brasilien, Japan, Ozeanien, Europa und Süd-Asien erschienen. Zu den ersten Veröffentlichungen des Europa-Zweiges gehört das Buch über das Album Kollaps von 1981 der Einstürzenden Neubauten.
Kollaps war nicht das erste Klangsignal der Einstürzenden Neubauten. Vorher, um 1980/81, gab es bereits eine Reihe von Cassettenveröffentlichungen (Stahlmusik; Live in Kunstkopfstereo; Chaos-Sehnsucht/Energie) in verschiedenen Besetzungen. Die erschienen auf dem Eisengrau-Label, das so benannt war nach einem Kreuzberger Klamottenladen, betrieben zunächst von den späteren Malaria!-Mitgliedern Bettina Köster und Gudrun Gut, später dann von Blixa Bargeld übernommen; auch Frieder Butzmann, die Tödliche Doris und einige andere starteten dort. Auch Beate Bartel, Alexander Hacke und N.U. Unruh liefen dort herum, man sieht schon da, wie sich die Szene zusammenfand. Es war kein großes Kunststück, schon rein räumlich konnte man sich kaum verfehlen.
Die West-Berliner Szene jener Zeit erinnert stark an das New York der 1970er Jahre: Auch dort fand man leere Fabriketagen und andere, oft bereits in Zerfall übergehende Gebäude, die man kapern oder für wenig Geld mieten konnte. Diese Umgebung, diese Arbeitsatmosphäre führte fast zwangsläufig zu künstlerischen Darstellungsformen, die anderswo kaum so hätten entstehen können. Die Stahlmusik wurde vermutlich im damaligen „Proberaum“ der Band im Inneren einer Autobahnbrücke aufgenommen. Man erinnert sich an einen TV-Bericht, der das zeigte — der Hohlraum war ungefähr anderthalb Meter hoch und fünfzig Meter lang, die Stahlträger wurden zur Percussion; entsprechend war die Akustik — der Titel war Programm. (Kann aber auch sein, dass das schon damals nur Futter für die Medien war, who knows.) Die Auflagen der resultierenden Tapes dürften jeweils um die 20 Stück gewesen sein. Es gab damals auch andere Bands, die diesen Weg gegangen sind; ich kannte ihn vor allem von Ost-Berliner / Prenzlberger Untergrundbands wie etwa dem Freien Orchester, deren Westkontakt ich eine Zeitlang war.
1981 erschien dann Kollaps, das erste „offizielle“ Album der Neubauten, veröffentlicht auf Alfred Hilsbergs frisch gegründetem Zickzack-Label. Auch dieser Platte haftete das Gerücht an, sie sei in jener Autobahnbrücke entstanden, aber das ist nicht richtig. Die LP wurde weitgehend im Hamburger Hafenklang-Studio aufgenommen. Der Tonmann ließ die Band machen, und da sie tagelang auf Speed aufnahmen, resultierte das Ganze in Einspielungen, die, sagen wir mal, unter normalen Studiobedingungen nicht entstanden wären. Die ungeheure Radikalität dieser Platte beeindruckt noch heute. Gleichwohl ist sie ein Kind ihrer Zeit; dass sie Staub angesetzt hat, ist unüberhörbar.
Die Produktion und Rahmenbedingungen ihrer Entstehung kann man jetzt in einem Buch aus der Reihe „33 1/3 Europe“ nachlesen. Titel für Titel arbeiten sich die Autoren durch das Werk, wobei sie nicht nur Fakten darlegen, sondern das Album auch in den Kontext der damaligen Jahre stellen und darüber nachdenken, was es uns heute noch zu sagen hat. Und das ist nicht wenig. Vor allem wird klar, dass die Rolle West-Berlins, Kreuzbergs, kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. In München oder Frankfurt wäre eine Gruppe wie die Einstürzenden Neubauten nicht entstanden, auch nicht in Düsseldorf. — Typisch wiederum für Hamburg, dass der Großregisseur Peter Zadek die Band für seine „Andi“-Inszenierung ins Deutsche Schauspielhaus holte, was letztlich dazu führte, dass die Neubauten mit ihrer Musik nicht nur erstmals ein paar Mäuse verdienten, sondern die Leiter zum Kunstprojekt erklimmen konnten. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Kleine Kritik am Rande: Anscheinend ist man beim Verlag dem Irrtum aufgesessen, eine serifenlose Schrifttype wirke moderner als eine klassische Buchschrift. Tatsächlich macht sie das Lesen zur Tortur und nervt sehr schnell ganz ungeheuerlich.
Melle Jan Kromhout & Jan Nieuwenhuis:
Kollaps
Reihe 33 1/3 Europe, Bloomsbury Academic 2024
120 Seiten
ISBN 978-1-5013-8750-0
