In Erinnerung an Eugen Gomringer
An der Uni Freiburg gab es damals, als ich dort studierte, ein fantastisches Angebot von Veranstaltungen jenseits des fachspezifischen Curriculums. Es waren Kurse, an denen alle Studierenden teilnehmen konnten. Ich habe zum Beispiel einen Zeichenkurs belegt, habe dieses vielleicht dann doch nicht so große Talent aber nicht weiterverfolgt, abgesehen davon, dass ich in der Zeit – ganz unabhängig von dem Kurs, in dem wir konkrete Gegenstände abzeichneten – damit begonnen habe, ganz einfache Strichfiguren zu machen, die plötzlich schwungvoller wurden, was ich beglückt als eine Art kleinen kreativen Durchbruch interpretierte. Geschwindigkeit und ein lockeres Handgelenk spielten dabei die entscheidende Rolle. Im Rahmen dieses „Studium Generale“ wurde auch ein Kurs mit dem Titel „Ästhetisches Sprechen“ angeboten. Ich nahm zwei Semester daran teil. Wir trainierten die offizielle Sprechtechnik ein, was manche Überraschungen in der Aussprache mit sich brachte; es gab aber auch Übungen, die einfach nur Spaß machten. Dazu gehörte das „Schweigen“-Gedicht von Eugen Gomringer. Wir waren vielleicht vierzig bis fünfzig Studierende in einem eher zu kleinen Raum und sprachen Zeile für Zeile „schweigen schweigen schweigen“ in einem gewissen Raunen vor uns hin, bis dann die Pause kam: genauso lang, wie es dauert, das Wort „schweigen“ zu sprechen. Diese Wirkung war körperlich spürbar. In den letzten Stunden des Kurses sollte jeder Teilnehmende ein Gedicht auswählen und vor laufender Kamera vortragen; dann wurde unser Auftritt analysiert. Ich wählte – auch als Kontrast zum Gomringergedicht – „Kommt, reden wir zusammen“ von Gottfried Benn, und ich weiß noch genau, dass mich der Professor als Energiebündel bezeichnete, worüber ich nicht so glücklich war. Über das Seminar kam ich an einen Job als Souffleuse für das Theaterstück „Amphitrion“ von Heinrich von Kleist. Ich habe immer noch das gelbe Reclamheft, das mir damals überreicht wurde und auf dem mit schwungvoller Schrift „Souffleuse“ steht, mit Bleistift geschrieben. Außerdem, von mir ergänzt, zwei Termine und „Kissen mitbringen“. Die Souffleusekammer war nämlich eng und nicht so bequem.
5 Kommentare
flowworker
Vom Schweigen zur Souffleuse, das hat was!
Martina Weber
Da gibt’s schon Verwandtschaften. Als Souffleuse musst du gut zuhören und schweigen und ein Gespür dafür entwickeln, wann etwas aus dem Ruder gerät.
Lajla
Martina, ich habe ja auch in Freiburg studiert und ebenfalls an so einem Kurs für Sprechen teilgenommen. Ich sollte von Goethe “ Willkommen und Abschied“ vortragen. Der Prof stoppte mich und sagte: „So schnell reiten Pferde nicht“…
Ich kenne zwar Gedichte von Gomringer, aber mich haben sie nicht so gefesselt wie die von Ernst Jandl. Mir gefiel der Humor in Jandl s Gedichten besser, das verwechseln von Buchstaben usw.
Martina Weber
Hey, wie super, dass du den Kurs kennst! Hatte den auch Professor Thomas geleitet? Wir durften uns die Gedichte aussuchen. Ich verbinde mit dem Schweigen-Gedicht eine interessante Erfahrung, bin aber keine Leserin von Gomringer-Gedichten. Von Jandl gibt es ein paar Gedichte, die ich ganz gut finde, aber generell suche ich in Lyrik und allen anderen Texten einen raffinierten Umgang mit Zeit und Raum. Darauf lege ich in meinen eigenen Gedichten wert. Die Gedichtet von Jennifer Poehler waren die, die mich als erstes völlig umgehauen haben. In ihrem Gedichtband „Türkises Alphabet“ lese ich, seit ich das Buch vor mehr als 20 Jahren entdeckt habe. Es ist unergründlich 🙂
Olaf Westfeld
Ich habe in der Lehrerausbildung viel Sprachgestaltung gemacht und dabei auch einige Gedichte vorgetragen. Ich spreche auch sehr gerne mit Schülern Gedichte – und hoffe, dass die das auch ganz okay finden. Insofern finde ich Deine Erfahrung mit dem Gedicht „Schweigen“ ganz spannend und inspirierend (genau so wie das Benn Gedicht).