• Hans Ulrich Obrist: A Brief History of New Music

    Hans Ulrich Obrist is a Swiss critic and curator, since 2026 at Serpentine Gallery, London. His first contact to the world of arts happened when he visited Swiss artists Fischli & Weiss at their studio when they were busy with their now famous video Der Lauf der Dinge. Later he met Gerhard Richter in his studio and traveled through Europe from interview to interview for around six years, in 1993 he started the arts association „museum in progress“. Since then there was probably no artist of relevance he didn’t talk to. Composers and musicians have always been part of it. He recorded nearly 2000 hours of interviews; he called this project „an endless conversation“. 

     This book, A Brief History of New Music from 2015, contains a sort of „best of“ from those interviews. Partitioned into sections „Avant-Garde Composers“, „The Birth of Electroacoustic Music“, „Minimalism & Fluxus“ and „Modern Masters“ there are 17 interviews, among them Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, Iannis Xenakis, Robert Ashley, Pauline Oliveros, Terry Riley, Steve Reich, Yoko Ono, Brian Eno, Ralf Hütter and Caetano Veloso. Every single one of these interviews is carefully prepared; Obrist knows what the interviewees did, he knows about their background, and he knows what to ask them. But he also knows when it’s better to let them talk, which sometimes can lead to highly interesting statements nobody could have planned before.

    Some of the interviews — especially the ones with Stockhausen and Reich — are extremely interesting and concentrated (I used a lot of the Stockhausen interview here), Brian Eno has some interesting things to say about songwriting, Steve Reich’s tape compositions and their influence on his own Music for Airports, some other interviews are a little bit so-so, sometimes — like with Arto Lindsey — one gets the impression that this guy is in a bad mood or not willing to talk much. Kraftwerk’s Ralf Hütter says exactly what he wants to say and not a syllable more, in the end he comes up for the umpteenth time with his fairytale of 168 weekly working hours at their studio. (But to be fair: What he’s talking about is in fact the phenomenon that a creative artist has always something going around in his head about projects, may it be in the foreground, may it be on the second track, but it never stops, it’s always there.) And as Obrist knows this phenomenon, his most-asked question is: „What project are you working on currently, and are there any projects you would like to do and couldn’t realize yet?“ The answers to this question are usually the most interesting ones. 

    Of course the interviews are edited, but anyways, reading „spoken word“ can sometimes be a bit stressful. But it’s worth the effort. My only complaint: The introductions to the interviews are printed in a nearly unreadable small face. As there is no lack of space, this is simply annoying. 

    Hans  Ulrich Obrist:
    A Brief History of New Music
    JRP/Ringier Kunstverlag, Zürich 2015
    ISBN 978-3-03764-190-3
    Book in English language, 300 pages

  • Klaus Schulze: Bon Voyage

    (In English: here)

    Dass uns Klaus Schulze verlassen hat, ist nun auch schon wieder drei Jahre her. Auf Neuerscheinungen mussten die Fans dennoch nicht lange warten, und produktiv, wie er war, ist anzunehmen, dass noch manches folgen wird.

    Ich meine mich zu erinnern, Schulze dreimal live gesehen zu haben: Erstmals 1977 im Hamburger Audimax, damals noch mit dem Big Moog auf der Bühne, gerade stand sein Jubiläumsalbum X. vor der Tür, für das überall im Audimax kleine Werbeaufkleber herumflogen. Ich erinnere das Konzert als atmosphärisch stark. Das zweite Mal war 1981 ebenda, mit dem Gitarristen Manuel Göttsching und erstmals mit dem damals neuen GDS-Computer. Und dann war da noch ein drittes Konzert, diesmal in der Fabrik mit einem Fairlight und dem Gast Rainer Bloss, der inzwischen den GDS übernommen hatte; es müsste wohl 1985 gewesen sein. Mir in Erinnerung vor allem wegen des Vorhangs, der sich mehrere Minuten lang nicht öffnen wollte. Relativ aktuell war da noch das Live-Album Dziekuje Poland, eingespielt von eben diesem Duo.

    Mit Deus Arrakis hatte Klaus Schulze ein verdammt starkes letztes Album hinterlassen, danach veröffentlichten seine Erben noch die Filmmusik 101, Milky Way aus dem mir nicht bekannten Film „Hacker“. Nun haben die Erben erneut ins Archiv gegriffen und den Mitschnitt des Audimax-Konzertes von 1981 ausgegraben: Bon Voyage heißt das gute Stück, zwei CDs und eine DVD.

    Ich habe damals nicht mal bemerkt, dass das Konzert gefilmt wurde, und tatsächlich war das Video eigentlich nur dazu gedacht, den beiden Musikern einen Eindruck zu vermitteln, wie sie auf der Bühne aussahen. So muss man die DVD denn wohl auch sehen: als eine Erinnerung an den Auftritt, qualitativ ist es weder technisch noch in der Bildführung besonders gelungen. Auch der Ton ist eher mäßig, aber das macht nichts, denn dafür sind ja die CDs (bzw. die Doppel-LP) da, und an deren Qualität gibt es nichts zu bemängeln. Dazu gibt es ein gut gemachtes Booklet mit bis dahin unveröffentlichten Fotos und Liner Notes von Claus Cordes in deutsch und englisch. Wer das alles nicht braucht: Den Ton gibt es auch bereits auf den üblichen Streamingdiensten.

    Es ist ein bisschen dreist, dass nur Klaus Schulze auf dem Cover genannt wird, denn tatsächlich stand die gesamte Zeit hindurch auch Manuel Göttsching mit seiner Gitarre auf der Bühne. Dass er ein exzellenter Gitarrist war, muss nicht extra betont werden. Leider nutzt er das Instrument fast ausschließlich zum Ansteuern eines Gitarren-Synthesizers. Diese Geräte waren damals noch sehr schwer zu bändigen; mir fallen auch nur zwei Gitarristen ein, die das wirklich draufhatten: Steve Hillage und Pat Metheny, und irgendwie kommt mir Manuel hier ein bisschen in den Hintergrund gemischt vor — mehr, als er es eigentlich verdient gehabt hätte. 

    Klaus Schulze war nie ein großer Tastendompteur, das zeigt sich nicht zuletzt im Video sehr deutlich. Sein Talent bestand vielmehr darin, sich sehr effektiv die Technik zunutze zu machen, um einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln. Den hatte er schon recht früh ziemlich exklusiv, und er wich davon auch kaum je ab. 

    Musikalisch fiel das hier vorliegende Konzert in die Zeit der Alben Dig It und Trancefer. Das war die Zeit, in der Schulze vom analogen zum digitalen Equipment wechselte, und das ist unüberhörbar. Der GDS-Computer der italienischen Firma Crumar beherrscht die Szene. Ein großer Erfolg war dieser Kiste nicht beschieden; meines Wissens sind nicht mehr als zehn dieser Geräte gebaut worden (andere Besitzer waren Wendy Carlos und Chris Franke). Statt der bis dahin gewohnten warmen Analogklänge hörte man nun kühle Digitalsounds. Das war gewöhnungsbedürftig, und es ist offensichtlich, dass Schulze den Computer noch nicht wirklich auszureizen verstand. Das ganze Konzert bewegt sich in durchgehend hohem Tempo, und immer wieder grüßen die beiden obengenannten Alben durch, streckenweise, wenn mich nicht alles täuscht, sogar inklusive der von Michael Shrieve für Trancefer eingespielten Percussion, die hier als Sample mitläuft. Tatsächlich ist Trancefer für mein Gefühl eines von Schulzes besten Werken, aber so richtig überträgt sich dessen Stimmung nicht auf die Bühne.

    Anyway, wer Klaus Schulze nie live gesehen hat, kann das hier nachholen. Das ganze Set kostet gerade mal 16 Dollar, da kann man wirklich nicht viel falsch machen.

  • Das fidele Grab an der Donau

    So hat der Schriftsteller Alfred Polgar sein Wien beschrieben. Dieser Satz hat viele Dimensionen. Nicht zuletzt ist er der Titel eines Buches von Georg Stefan Troller, im Untertitel „Mein Wien 1918 – 1938“.

    Der Filmemacher, geboren 1921, nimmt uns in diesem Buch mit auf eine Reise durch die Zeit zwischen den Weltkriegen, dokumentiert sie in Zeitzeugenaussagen, Zeitungsartikeln, Filmen, Kabarett, und nicht zuletzt durch seine eigenen Erinnerungen — mit seinen damals schon um die 80 Jahren hat er reichlich davon (heute ist er 103!). Und sie sind keineswegs nur romantisch, sondern Resultat scharfer Beobachtung und eines bisweilen harten, polemischen Humors, wie man es auch aus seinen Filme kennt. Anders wäre die Geschichte auch nur schwer zu ertragen. 

    Dieses Buch ist bereits 2004 erschienen. Ich, alter Wien-Fan, habe es damals gekauft und irgendwie im Regal vergessen. Jetzt habe ich es wiederentdeckt — was für eine Entdeckung! 

    Und wie verdammt aktuell sie ist.

    Das alte Café Central ist der Ausgangspunkt. Das „alte“, das „klassische“ Wien, das Wien der Caféhäuser, das Wien der Zwischenkriegszeit, der zerfallenden Restbestände der K.u.k.-Monarchie, um sie geht es. Man liest, wie Wien versuchte, nach dem Ersten Weltkrieg so etwas wie eine neue Identität aufzubauen, die dann aber in Jahre des Verschweigens und Verfälschens mündete. Es geht um die Vergeblichkeit solcher Bemühungen, um die an sich selbst verzweifelnde (gelegentlich auch selbstmitleidige) Kulturszene jener Jahre. Denn in Wirklichkeit war natürlich nichts so, wie es zu sein schien, und alle Bemühungen führten — nun ja, man weiß, wohin sie führten. Der Autor erspart uns das nicht.

    Auslöser war ein Filmdreh. Troller, dem wegen des geplanten Abrisses der Zugang zum alten Café Central behördlich verwehrt wurde, ließ sich mit seinem Filmteam heimlich im Gebäude einschließen und wurde nächtens in einem Kellerraum fündig: Dort fand er sie aufbewahrt, die Überbleibsel des alten Caféhauses, die Tische, die Schachbretter, Garderobenständer, Geschirrteile, die alte Kasse, „sogar eine Originalnummer des expressionistischen Sturm„, und unter dem Teppich ein Mosaik: „Eingang Café Central“. Damit beginnt das Buch, „Der Neubeginn 1918 – 1924“ heißt das Kapitel, und man ahnt bereits dort, dass der Neubeginn keiner sein wird. 

    Das Café Central war, wie Polgar sagt, gelegen „unterm wienerischen Breitengrad am Meridian der Einsamkeit. Kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen. Seine Bewohner sind größtenteils Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“ 

    Wir begegnen den klingenden Namen damaliger Stammgäste: Schnitzler, Werfel, Kraus, Musil, Kisch, Kuh, Torberg, Friedell, Klimt, und und und. Ein intellektueller, überwiegend jüdischer Zirkel.

    Eine große Zahl ebenso großer Namen fliegt en passant vorbei, von Fritz Lang bis zu Conrad Veidt, von Gustav Mahler bis zu Arnold Schoenberg, von Kurt Tucholsky bis zu Erich Kästner. Ein spezieller Favorit Trollers ist der jüdische Kabarettist und Autor Jura Soyfer, „der Wundermann“ (Troller), dessen Weg quer durch das ganze Buch immer wieder beleuchtet wird. In jenen Zwischenkriegsjahren gehörte Soyfer zu den produktivsten Wiener Satirikern, im winzigen Kabarettkeller ABC fand man ihn ebenso wie im renommierten Ronacher. Seit Urzeiten habe ich Soyfers literarisches Werk im Regal stehen, zwei schmale Bände, Lyrik und Prosa. Denn zu mehr kam er nicht: Beim Versuch, auf Skiern in die Schweiz zu flüchten, wurde er entdeckt. Er starb 1939 im KZ Buchenwald. (Die Wiener Band Schmetterlinge widmete ihm eines ihrer besten Alben: Verdrängte Jahre — Österreich zwischen den Kriegen; erschienen 1981; mit etwas Glück kann man die LP manchmal noch gebraucht finden.) 

    „Geh’ma halt a bisserl unter“ heißt einer von Soyfers bissigen Kabaretttexten. Er weist den Weg in den Fortgang der Geschichte: in den Untergang, der sich dann aber leider nicht nur als a bisserl erwies. Am Anfang stand, was Karl Kraus als „Die Ratten betreten das sinkende Schiff“ bezeichnete — die vor den aufkommenden Nazis nach Österreich fliehenden Deutschen nämlich. Ihre Flucht half ihnen nicht, denn die Fluchtursache folgte ihnen — und sie wurde willkommen geheißen.

    Troller schildert dieses Umkippen der österreichischen Gesellschaft bis 1938. Er selbst gehörte zeitweilig zur Bündischen Jugend: „Wir waren inmitten von lauter fanatischen Mitläufern, sowas wie ein Stück Basisdemokratie: Frühhippies, Ökologen, Aussteiger, Widerständler, Selbstverwirklicher.“ Es war eine sehr ambivalente Bewegung. Sie ließ sich in Teilen einkaufen, und damit passte sie ins allgemeine Bild. Troller schildert die immer weiter zunehmende Bereitschaft der Österreicher, sich mit den neuen Herren zu arrangieren. Ihre Gemeinheit, ihre Kleinkariertheit, die Politisierung jeder gesellschaftlichen Banalität, der zunehmende Antisemitismus, der in offenen Judenhass kippte.

    Und jeder, der heute mit offenen Augen durch die politische Landschaft läuft, wird zusammenzucken, wie aktuell das alles wirklich ist.

    Georg Stefan Troller:
    Das fidele Grab an der Donau
    Mein Wien 1918 – 1938

    (inkl. zwei Fotostrecken)
    Artemis & Winkler, Düsseldorf und Zürich 2004
    ISBN 3-783538-07188-9

  • Kraftwerk, 7. März 2025

    Kraftwerk Live, Pittsburgh, Stage AE

    (English translation see here

    Gerade lese ich ein Interview mit Karlheinz Stockhausen, das er 2004 dem Schweizer Kunstkritiker und -kurator Hans Ulrich Obrist gegeben hat. Immer wieder staune ich, welch ein ungeheures Potenzial von Kreativität und künstlerischer Wachheit der Komponist noch drei Jahre vor seinem Tod, im Alter von immerhin 76 Jahren, zu vermitteln verstand. Bis zuletzt hat dieser Mann immer wieder neue Ideen produziert und neue Kompositionen vorgelegt, elektronische ebenso wie akustische. Und auch über die Live-Präsentation seiner Werke unter räumlichen Gesichtspunkten hat er stets nachgedacht. Das war ein Lebensthema für ihn — an Gruppen sei erinnert, das drei Orchester im Konzertsaal verteilte und dabei die räumliche Anordnung und Interaktion der Instrumente zum Teil der Komposition machte. Es gab den elektronischen Gesang der Jünglinge, ein fünfkanaliges Werk: Vier Kanäle um das Publikum herum, ein fünfter kam von oben. Mit dem Architekten Fritz Bornemann entwarf Stockhausen ein kugelförmiges Rundum-Auditorium, das zur Expo 70 in Japan gebaut (und danach leider abgerissen) wurde. Oder Sternklang, das fünf teils akustische, teils elektronische Ensembles so weit voneinander entfernt in einer Parkanlage aufstellte, dass die sich gegenseitig gerade noch hören konnten. Das Publikum konnte zwischen den fünf Podien spazierengehen. Es gab Fresco, eine von Stockhausen so bezeichnete „Wandelmusik“ für vier Orchestergruppen in mehreren Räumen eines Hauses. Der Opernzyklus LICHT spielte die räumlichen Ideen immer weiter durch, bis hin zu einem Streichquartett in vier fliegenden Hubschraubern. Es gab die achtkanalige Oktophonie, und die ebenfalls achtkanaligen Unsichtbaren Chöre, ebenso das letzte noch von Stockhausen selbst realisierte Werk Cosmic Pulses, in dem die präzise ausgetüftelte räumliche Positionierung und Bewegung von Klängen im Raum in eine Komplexität mündet, die (zugegeben) kaum noch differenziert durchhörbar ist.

    An all das musste ich denken, als ich letzte Woche (zum neunten Mal seit 1971!) Kraftwerk auf der Bühne erlebt habe. Denn wenn irgendeine Band wirklich prädestiniert wäre, eine solche räumliche Platzierung und Bewegung von Klängen auf der Konzertbühne und dem Raum drumherum zu realisieren, dann wäre das Kraftwerk. Die Gruppe hat Vergleichbares mit einem 32-kanaligen 3D-Tonsystem namens „Wellenfeldsynthese“ zumindest in Ansätzen schon gemacht. Lange Zeit auch wurden die Konzerte mit 3D-Projektionen verräumlicht, ihr letztes Jahr 50 gewordenes Superwerk Autobahn hat die Gruppe soeben als räumlichen Dolby-Atmos-Mix wiederveröffentlicht.

    Ich hatte gehofft, die derzeitige „Multimedia“-Tournee der Band durch die USA und Kanada mit 32 Stationen würde irgendetwas in dieser Richtung bieten. Aber die Chance wurde leider nicht genutzt.

    Stattdessen wurde die klassische Schuhschachtel-Anordnung präsentiert: Vorn die Musiker in den inzwischen bekannten illuminierbaren Neon-Anzügen vor ihren Pulten auf der LED-bestückten Bühne, hinter ihnen ein elektronischer Großbildschirm mit sehr guter Bildqualität, Lautsprecher links und rechts, eine Subwoofer-Batterie vor der Bühne. Geboten wurden „Greatest Hits“, dazwischen auch einige eher selten gespielte Stücke („Tango“, „Ätherwellen“).

    Hier ist die Setlist:

    • Numbers / Computer World / Computer World 2
    • Home Computer / It’s More Fun to Compute
    • Spacelab
    • Airwaves
    • Tango
    • The Man-Machine
    • Electric Café
    • Autobahn
    • Computer Love
    • The Model
    • Neon Lights
    • Geiger Counter
    • Radioactivity
    • Tour de France / Tour de France Étape 3 / Chrono / Tour de France Étape 2
    • La Forme
    • Trans-Europe Express / Metal on Metal / Abzug

    Zugaben:

    • The Robots
    • Planet of Visions
    • Boing Boom Tschak / Musique Non Stop

    Dass die Band sich von der 3D-Projektion verabschiedet hat, geht in Ordnung, ich habe sie nicht vermisst, zumal die dafür erforderliche Papp-Brille nach einiger Zeit auch lästig wurde. Auch die „live“ auftretenden „Robot“-Kleiderständer sind nicht mehr dabei, sie finden nur noch auf der Projektionswand statt. Dieser Gag war nun auch wirklich allmählich abgeleiert. Interessant, nebenbei bemerkt, dass die Figuren im Film immer noch die Gesichter der früheren Bandmitglieder zeigen.

    Kraftwerk ist bekannt für exzellente Soundqualität, und ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Was sie allerdings hier in der „Stage AE“ klanglich anboten, war leider einfach Matsch. Die relativ kleine Halle war anscheinend einfach „über-equipped“. Eine irre Lautstärke brachte sich überschreiende Höhen, überlagert von Bass-Impulsen der Subwoofer, die Tritten in die Magengrube gleichkamen. Ich habe im Laufe der Jahrzehnte viele Konzerte mit hohen und sehr hohen Lautstärken erlebt und überstanden. Dies war das erste Konzert, nach dem ich nicht sicher war, ob ich einen Trommelfellriss oder einen Hörsturz erlitten hatte und die Emergency aufsuchen sollte. Über Nacht hat sich die Sache wieder halbwegs normalisiert. Eine solche Soundkatastrophe sollte einem routinierten Mischpultmann nicht passieren. Und wenn das dann in der Lokalpresse noch als „Spitzensound“ bezeichnet wird, dann frage ich mich, ob die Leute überhaupt noch einen Maßstab dafür haben, was in einem Popkonzert „guter Sound“ bedeutet. Oder gilt es mittlerweile schon als solcher, wenn das Publikum von der Subwooferbatterie vor der Bühne nur massiv genug durchgeprügelt wird?

    Oder sollten solche Fragen der Band mittlerweile egal sein? Es würde zum Gesamtbild des Abends passen: Etliche kleine Pannen (insbesondere der Neonanzüge) waren zu bemerken, die Lustlosigkeit der vier Herren, die kaum mal von ihren Pulten aufsahen, war ebenfalls nicht zu übersehen. Nach „Trans Europe Express“ verließen sie die Bühne, kamen dann aber bereits nach wenigen Sekunden wieder zurück und begannen den Zugabenteil. 

    Dem Publikum schien’s weitgehend egal zu sein. Auffällig, aber natürlich kein Wunder, dass ein Generationenwechsel sich nunmehr deutlich abzuzeichnen beginnt. Die „Urfans“ brechen allmählich weg, dafür wachsen zunehmend hippieske Fans im Highschool-Alter nach. Für sie allerdings scheint Kraftwerk nur noch eine Band unter vielen zu sein. Den historischen Background der Band kennen sie naturgemäß nicht mehr, für sie ist Kraftwerk ein Projekt der elektronischen Tanzmusikwelle. Auch die bei früheren US-Konzerten (Chicago, New York) immer anwesende Black Community, die man bei anderen Konzerten auch in Pittsburgh normalerweise sieht, war an diesem Abend anscheinend anderswo. Vielleicht aber auch nicht erstaunlich — die Berührungen zwischen Kraftwerk und den Schwarzen Musikszenen Detroits, Chicagos oder New Yorks liegen nun auch schon fast ein halbes Jahrhundert zurück; die damals entstandene Street Credibility Kraftwerks ist zwar noch nicht verflogen, aber für die heute aktive Musikergeneration annähernde Steinzeit.

    Wer weiß, was Kraftwerk noch in petto hat. Mit größerer Experimentierlust der Band wird man wohl kaum noch rechnen dürfen, Ralf Hütter als letztes Urmitglied der Band geht nun immerhin auch schon auf die 80 zu. Ich denke ja, irgendwann wird sich die Band ganz in den virtuellen Raum zurückziehen. In Ansätzen (Electric Cafe) hat sie das ja schon gemacht, indem sie sich selbst in Gestalt von Wireframes präsentiert hat — und damit endet auch heute noch jedes ihrer Konzerte. 

    Wie auch immer, wer Kraftwerk noch nicht live gesehen hat, sollte die Gelegenheit nutzen. Irgendwann wird es sonst zu spät sein.

  • Orbital

    (English version here)

    Diese Besprechung von Samantha Harveys Orbital, in der deutschen Übersetzung Umlaufbahnen, beinhaltet den Versuch des flowworker-Teams, ein Buch von mehreren Mitgliedern des Blogs besprechen zu lassen. Dies ist mein Beitrag dazu, die anderen finden sich hier von Olaf Westfeld, in den Kommentaren dort äußern sich Michael Engelbrecht und Martina Weber, weitere Erwähnungen hier und hier.

    Ein Buch ohne Handlung, aber keineswegs ohne Inhalt. Zwei Frauen und vier Männer umkreisen die Erde, sechzehnmal am Tag — was immer „Tag“ in der Raumstation ISS heißen mag. Sagen wir besser: in vierundzwanzig Stunden. Wir folgen ihrem Tagesablauf, ihren Gedanken, ihren Gesprächen, ihren wissenschaftlichen Experimenten, etwa der Arbeit mit den 40 Mäusen an Bord. Wir erleben in knappen Schilderungen und Dialogen die Profanitäten des Daseins, die Schlafprobleme oder der Dusche in der Schwerelosigkeit, die Speisekrümel, die wieder eingefangen werden müssen. Das immer irgendwie vorhandene Bewusstsein, dass nur eine millimeterdicke Metallschicht vor dem Vakuum schützt, spielt ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass gerade ein Raumschiff eine Expedition zum Mond unterwegs ist. Würde man lieber dort mitreisen als hier an Bord der ISS? Man erfährt von dem Tod der Mutter einer der beiden Frauen und der Unmöglichkeit, an der Trauerzeremonie teilzunehmen. 

    Vor allem aber hören wir von den Impressionen beim Blick aus dem Fenster, auf die Erde. Nicht, dass die Autorin das hier philosophisch überfrachtet — in diesem Punkt hält sie sich zurück, auch auf die allzu naheliegenden ökologischen Belehrungen verzichtet sie. Aber doch ist es nicht egal, dass aus der Perspektive der ISS der Globus da draußen keine Grenzlinien hat, dass man keine voneinander abgesetzten Staaten sieht, ja, dass man schon aus den gerade mal 200 Kilometern, die die ISS von der Erde entfernt ist, keine Spuren der Zivilisation mehr erkennen kann. Nur bei Nacht verraten sich die Städte durch ihr Licht. 

    Gelegentlich tauchen in dem endlosen Strom der Gedanken Ideen auf, die man schon anderswo gelesen oder gesehen hat, etwa der von Carl Sagan entworfene kosmische Kalender, der den Zeitraum vom Urknall vor 13,6 Milliarden Jahren bis heute auf ein Jahr reduziert und auf diese Weise die unvorstellbaren Zeitdimensionen in eine handhabbare Größe verwandelt. Kaum zu glauben, dass in diesem Modell die Menschheit erst am 31. Dezember, drei Minuten vor Mitternacht, auf der Erde auftaucht. Vor 1,2 Sekunden ist Columbus in Amerika eingetroffen. Samantha Harvey erweitert die Skala recht clever, indem sie — anders als Sagan — die Uhr weiterlaufen lässt, in die Zukunft hinein. Dann ist in diesem Maßstab in spätestens vier Monaten Feierabend auf der Erde. Dafür sorgt die weitere Entwicklung der Sonne, die heißer werden und sich nach und nach zu einer Größe aufblähen wird, bei der die Erde verschluckt werden wird. — Aber das sind Probleme von übermorgen; zunächst müssen wir uns wieder um die vierzig Mäuse kümmern.

    Ein sehr faszinierendes Buch und eine spannende Gedankenreise, wenn auch nicht immer ganz einfach und auch nicht immer ohne Längen. Die Autorin lehrt Creative Writing, manchmal merkt man das. Wie auch immer, Michaels Idee, es sollte vielleicht eine Audiobook-Version geben, in die gelegentlich Ausschnitte aus Brian Enos Apollo-Alben eingeblendet werden, hat etwas für sich. Aber wenn schon akustische Beiträge, dann wäre mein Vorschlag dieser hier. Der lässt mich seit Jahren nicht los und fasst eigentlich ohnehin das ganze Orbital-Buch in dreieinhalb Minuten zusammen.

  • [AT 11]: Asmus Tietchens: Musik unter Tage

    Um hier die im Manafonistas-Blog begonnene Tietchens-Reihe fortzusetzen: 

    Ein an Asmus‘ Filteraltar hängender, wenn ich es richtig erinnere, handgeschriebener Zettel sagte einst: „Das Ziel ist der Wahnsinn“. Leider habe ich das Foto nicht mehr. Aber es gibt nur wenige Einspielungen des Meisters, die mir so unmittelbar an diesem Gerät entstanden zu sein scheinen wie diese fünf Tracks, auch wenn als Soundquellen lediglich der Moog Sonic Six und der Minimoog angegeben werden.

    Die Musik unter Tage ist eine Cassettenveröffentlichung, 1983 mit unbekannter Auflage auf dem amerikanischen Aeon-Label erschienen. Als solche war sie letzter Teil einer Art Serie, zu der noch die weiteren Cassetten-Releases Musik an der Grenze (1982), Musik im Schatten (1982) und Musik aus der Grauzone (1981) gehören. 

    Die Musik unter Tage passt in diese Reihe: bohrend, undurchschaubar, ziemlich lichtlos. Mit Ausnahme des Titels „Gelber Himmel“ bestehen die Tracks aus jeweils einem liegenden, durchweg undefinierbaren Dauerklang, der überlagert wird von gefiltertem Rauschen und/oder Klängen, die mir im wesentlichen mit selbstoszillierenden Filtern erzeugt zu sein scheinen. Die Tracks 1 („Strenge Klänge“) und 2 („Dämmerattacke“) gehen dabei ineinander über, ebenso die Tracks 4 („Maschine 6B“, mit 18 Minuten Spieldauer das längste Stück) und 5 („Einer 5“). Lediglich Track 3, „Gelber Himmel“, kommt ein wenig munterer daher, hier ist ein Konglomerat diversen Gefiepses zu hören, das auch ein wenig im Stereopanorama umhergeschickt wird. „Einer 5“, das letzte Stück, ist eine Art Kombination aus beiden Bauprinzipien. 

    Die für Tietchens gelegentlich typische ökonomische Denkweise, wie wir sie auf späteren Platten noch näher kennenlernen werden, zeigt sich darin, dass einiges Klangmaterial dieser Stücke in späteren Einspielungen wieder auftaucht.

    Verglichen mit den deutlich klarer ausgearbeiteten Sky-Einspielungen ist dies ein alles in allem eher simpel strukturiertes Werk; auch innerhalb der Cassetten-Werkgruppe erreicht Tietchens hier nicht die Qualität der Musik an der Grenze. Viel Zeit, behaupte ich mal, hat er in die Aufnahmen nicht investiert. Insofern ist dies sicherlich keine seiner wichtigeren Einspielungen, aber seine Handschrift immerhin wird schon deutlich; da ist jemand erkennbar „auf dem Weg“. Das macht die Musik unter Tage dann doch zu einem Puzzleteil seines Gesamtwerks.

    Musik unter Tage
    Aeon (Fort Collins, Colorado, 1983), keine Bestellnummer
    Keine spätere Wiederveröffentlichung

  • Albums 2024

    It’s Nikolaus Day, which means: Same procedure as every year, time for my favorite 2024 albums.

    This year (don’t take the order too serious):

    • Laurie Anderson: Amelia
    • Ryuichi Sakamoto: Opus (online version)
    • Elephant9 & Terje Rypdal: Catching Fire
    • Can: Live in Paris 1973
    • Can: Live in Aston 1977
    • Nick Cave & Bad Seeds: Wild God (Dolby Atmos)
    • Einstürzende Neubauten: Rampen
    • Peter Thomas: The Tape Masters, Vol. 1
    • Hans Zimmer: Dune, Part 2
    • Dubbelorganisterna: Volym 1

    Furthermore:

    • Hans-Joachim Roedelius: 90
    • Pet Shop Boys: Nonetheless/Furthermore
    • Hermanos Gutiérrez: Sonido Cósmico 

    Rediscovered:

    • Cowboy Junkies: The Trinity Sessions (1988) (Dolby Atmos)
    • Godley & Creme: The History Mix, Vol. 1 (1985)
    • Grateful Dead: Europe ’72 (Dolby Atmos)
    • Jan Hammer: Escape from Television (1987)
    • David (Dave) Holland: Life Cycle (1983)
    • Peter Thomas Sound Orchester: Filmmusik (the 2-CD version, 1992)

    All in all not the strongest year ever, and as always I’m sure I forgot something. I have to admit I fell in love with Dolby Atmos, a great new headphone experience that gives new life even to a record like the Dead’s (although I’m not their biggest fan, but this record is essential anyways). Nice to hear from Terje Rypdal again, this is a melange somewhat between EL&P and King Crimson, hard work, but worth it. Dubbelorganisterna, in case you never heard that name, consists of leftovers from the drawers of late Bo Hansson & friends, recorded 2007 and 2014, limited to 600 copies. Film composer Peter Thomas would be 100 next year, there will be more about him then. Ryuichi Sakamoto needs no comment, this is the final goodbye. Dave Holland’s solo cello recording is the right music for large, bright, white-painted rooms with few furniture. I love it.

    May the next year come (in peace, if possible).

  • 33 1/3: Hounds of Love

    (English version see HERE)

    Hätte mich bis jetzt jemand gefragt, welches ich für das beste Album von Kate Bush halte, ich hätte immer Hounds of Love genannt, das ich allerdings seit Jahren nicht mehr gehört habe. Nach der Lektüre von Leah Kardos‘ Buch bin ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht doch eher The Dreaming ist. Nach ihren ersten beiden Platten hatte sich Kate gerade vom bestimmenden Einfluss der EMI befreit, hatte noch keinen eigenen Fairlight und kein eigenes Studio. Den Sampler hatte sie in der Arbeit an Never For Ever kennengelernt und setzte ihn auf The Dreaming mit viel mehr Neugierde ein. Sie lebte ansonsten von Dope, Schokolade, Kartoffelchips und Rotwein und erforschte, was man mit einem Studio so alles anstellen kann, wenn man sein eigener Produzent ist. Deswegen hat sie dann auf dem Grundstück ihrer Eltern ein eigenes gebaut. Auf The Dreaming, so denke ich, fand sie ihre wirkliche Stimme.

    Wobei, damit es kein Missverständnis gibt, klar gesagt sein soll, dass Hounds of Love noch immer ein herausragendes Album ist, das ziemlich konkurrenzlos in der Poplandschaft steht.

    Leah Kardos ist Lecturer in Music an der Kingston University in London. Sie kennt sich also aus und kann sachlich korrekt einordnen, worüber sie schreibt (das ist in der Reihe 33 1/3 leider nicht mehr selbstverständlich). Das Buch ist sehr logisch aufgebaut; nach einigen Worten über das Phänomen Kate Bush und ihre Ausnahmeposition im Musikbusiness und die Vorgänger dieses Albums bespricht Kardos die Platte Track für Track. Dabei geht sie auf die textlichen Inhalte ebenso ein wie auf die eingesetzten Instrumente, die Herkunft einiger Samples (etwa das berühmte „It’s in the trees — it’s coming!“ am Beginn von Track 2), die Musiker und die Produktion im Studio.

    Das Hauptinstrument ist natürlich der Fairlight. Der, und mit ihm die Sampling-Technik, war damals, als das Album produziert wurde, das Neueste vom Neuen, und Kate war eine der ersten überhaupt, die das Ding konsequent einsetzten. Genau das löst heute meine obengenannten Zweifel aus, denn dieser typische, etwas „hauchige“ Fairlight-Sound, der durch die noch recht niedrige Samplingrate zustandekommt und die ganze erste Seite des Albums dominiert, wirkt heute schlicht etwas angestaubt. Interessant ist aber wiederum, welche Sounds eben nicht aus dem Fairlight stammen, sondern von Musikern gespielt werden — und die sind wieder mal handverlesen. Dabei stößt man auf einige Aha-Effekte, die mir bis dato nie bewusst aufgefallen waren, etwa die Tatsache, dass das Schlagzeug (bzw. die Drummachine) vollständig auf Metall (also Becken und Hi-Hat) verzichtet. Zudem gibt es Infos über den inhaltlichen, stellenweise sehr esoterischen, Hintergrund einiger Tracks, etwa „Cloudbusting“. Aber bei Kate wundert einen das dann wieder nicht, ihre Texte hatten schon immer einen Spin in diese Richtung. Und dafür mag man sie ja schließlich.

    Das Album Hounds of Love zerfällt in zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben. Die gesamte Seite 2 wird von dem Songzyklus The Ninth Wave bestimmt, der sowohl instrumental transparenter als auch inhaltlich kohärenter ist als die Seite 1. Auch hier gibt es wieder detaillierte Info sowohl über den Inhalt der einzelnen Songs als auch über die verwendeten Bestandteile. Wo etwa der rettende Hubschrauber herkommt (vom Pink-Floyd-Album The Wall nämlich) hatte ich schon selbst herausgehört, was es aber mit dem unheimlichen Männerchor auf sich hat und was er da eigentlich singt, das war mir neu — ich dachte immer, es sei ein Traditional, aber es ist keines. Dass der Zyklus gelegentlich ein wenig mit Effekten überladen und überproduziert ist, das wird ebenso erwähnt.

    Kardos‘ Blick auf das Album ist von großer Sympathie sowohl für das Werk selbst sowie für Kate Bush gekennzeichnet, ihr hoher Kenntnisstand macht die Lektüre aber nicht unbedingt immer einfach. Liest man etwa über „Mother Stands for Comfort“ einen Satz wie 

    „The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to b♭aug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again“,

    dann bin ich mir nicht sicher, ob das für die Mehrheit der Leser noch nachvollziehbar ist. Aber man kann nicht alles haben — will man es gründlich, dann geht es nur so; will man es einfacher, wird es oberflächlicher bleiben.

    Kardos geht im Anschluss noch ebenso gründlich auf die Live-Version der Ninth Wave ein, die Kate 2014 im Londoner Eventim Apollo (= das frühere Hammersmith Odeon, in dem Kate ihre erste und bislang einzige Tournee 1979 beendete) auf die Bühne stellte. Zunächst sollte das Ganze ein Film werden, doch daraus wurde nichts. Und es mussten alle Konzerte in derselben Arena stattfinden, weil eine sehr aufwendige Tontechnik installiert werden sollte. Als dann die 14 Konzerte angekündigt und aufgrund der Reaktionen sofort auf 22 erweitert wurden, waren die Tickets für alle Abende innerhalb einer halben Stunde weg. Einer der Auftritte wurde gefilmt, aber erschienen ist er bislang nicht, weder im Kino noch auf DVD. Dokumentiert ist das Event nur auf dem 3-CD-Album Before the Dawn. Überhaupt ist Kate Bush ja ein Familienunternehmen. Die Familie war irgendwie mit David Gilmour befreundet, der sie dann seinem Hauslabel EMI empfohlen hat. Und wenn Mr. Pink Floyd jemanden empfiehlt, dann widerspricht man nicht. Und ohne Kates Sohn (Bertie) hätte Before the Dawn nicht stattgefunden — wieder die Familie.

    Es folgen am Ende einige Zeilen über die Reaktionen und Meinungen anderer Künstlerinnen (von Tori Amos über Björk bis zu Cat Power) über den Impact von Kate Bush. Dieses himmelhochlobende Kapitel haut mir schlicht zu sehr auf den frauenbewegten Punkt (und das soll Kate Bushs pionierhaftes Wirken nicht schmälern). Dabei geht es mir nicht mal speziell um dieses Buch; ich habe es nie für besonders interessant gehalten, was Künstler A über Künstler B meint. Andy Warhol war gut, weil Andy Warhol gut war, nicht weil er Schulze oder Lehmann beeinflusst hat. Jedes Kunstwerk muss für sich bestehen. Die Werke von Kate Bush können das. Wenn Tori Amos sagt, „the Ninth Wave turned me inside out … It changed my life. I left the man I was living with because of this record“ — dann scheint mir die Beziehung wohl auch schon vorher nicht allzu stabil gewesen zu sein …  

    Aber der Rest des Buches ist lesenswert.

    Leah Kardos:
    Hounds of Love
    Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
    ISBN 979-8-7651-0699-0