• Gary Bartz, Bilal, Adrian Younge (Heidelberg 07.11.2025)

    Es sollte ein besonderer Abend werden…

    Am späten Nachmittag treffe ich Martin, dem ich zuletzt im Sommer 2024 begegnet bin, in Karben, und wir machen uns auf den Weg nach Heidelberg. Dort angekommen, haben wir genug Zeit, um einen Blick durch die Glasfassade des Kongress Centers zu werfen. Auf den  LED-Displays an der Wand, einige Meter von uns entfernt, ist der Zeitplan abzulesen.

    Gary Bartz, Bilal und zum Abschluss Adrian Younge, jeweils für eine Stunde und mit eigener Band.

    Da im Saal der Soundcheck noch nicht beendet ist und uns folglich der Zugang voerst verwehrt bleibt, wird  es kurz nach dem Einlass sehr eng im Foyer. Was zu Gedränge und vereinzelt heftigen Wortwechseln führt. Nach 5 – 10 Minuten dürfen wir dann in den bestuhlten Saal und finden 2 Plätze,  geschätzt Reihe 7-9. Ich schaue mir die skulpturenartigen Lautsprechersäulen an, und mir schwant nichts Gutes in punkto Klang.  Wieviele Personen versammelt sind, ist schwer einzuschätzen,  ich tippe auf etwa 1500.

    Das Warten hat ein Ende, als Gary Bartz um 20:00 Uhr im Glitzer-Sakko die Bühne betritt, sichtlich gut gelaunt und bester Dinge. Das hält leider nur kurz an. Als der Pianist sein erstes Solo zum Besten gibt, wird klar, dass hier etwas nicht stimmen kann. Der Klang wirkt zerhackt, Verunsicherung und Ratlosgkeit zeichnen sich auf den Gesichtern des Quartetts ab. Ob Gary Bartz, der nun sehr ernst in den Raum schaut, die Setlist jetzt spontan anpasst, wird sein Geheimins bleiben.  Er singt einen Blues über einen „bad man“. Bei dieser spontanen Doppeldeutigkeit kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Klangbild wird allmählich besser und die Mienen der Protagonisten hellen sich wieder auf. Was wir jetzt erleben dürfen,  kommt einer Reise in die Zeit gleich, als Gary Bartz noch ein junger Mann war.  Tage später muss ich an eine wunderbare Blue Note–Doku denken: „it must schwing“. Und wie sie schwingen! Alfred Lion und Frances Wolff hätte das gefallen. Angetrieben von der famosen Rhytmusgruppe, hauen Gary Bartz und der Pianist  ein großartiges Solo nach dem anderen raus. Was für ein grandioser Auftakt!

    Bilal kann ich kurz abhandeln: not our cup of tea, wozu auch der  schlecht  abgemischte Sound beiträgt. Begleitet wird er von Gitarre( zu leise), E-Bass und Schlagzeug (zu laut). Nach 10 Minuten beschliessen wir, frische Luft zu tanken und die Umgebung nach günstigeren Getränkeangeboten zu sondieren. Frisch gestärkt kehren wir zurück und tauschen uns mit der netten Frau zu unserer Rechten aus. Bilal klinge wie Prince, aber er sei nicht Prince. Das können wir so unterschreiben.

    Endlich ist es so weit.

    Einer der umtriebigsten Künstler der letzten 15 Jahre, und für mich der Mann der Stunde hat seinen großen Auftritt. Zunächst atmet Adrian Younge tief durch, ehe er erklärt, dass es ein heisser Abend werde. Seinen Bass nimmt er kurz ab, um sich seines Sakkos zu entledigen. Schon kurz nachdem die vielköpfige Band, ua. mit Viola, Violine, Saxofon, Trompete, loslegt, sinke ich glückselig mit einem Seufzer in meinen Stuhl. Es erklingt ein Song von einem der beiden mir bekannten „Something About April“-Alben. Funky psychedelic Soul, Blaxploitation-Sounds , Jazz, HipHop-Beats verschmelzen hier auf magische  Art und Weise. Den Abschluss der Trilogie mit der Veröfentlichung von Part III im April feiert  er nun auch mit seiner ersten Tournee in Europa. Es entwickelt sich ein hochenergetischer, mitreißender Set.

    Adrian mit seinem extrem druckvollen Bass und der Drummer bilden ein Fundament, über dem sich ein wunderbarer Klangteppich entfaltet. Der wird maßgeblich von den fantastischen Musikerinnen an den weiter oben erwähnten Instrumenten erzeugt. Die Saxofonistin und insbesondere die Trompeterin begeistern uns mit ihrer Power und treiben sich gegenseitig zu weiteren Höhenflügen. Zurecht bekommt die zuletzt genannte am Ende den stärksten individuellen Applaus. Mit  Lauren Oden gesellt sich ein Sänger hinzu, der mich an Curtis Mayfield denken lässt. Der Funke springt recht bald über, der Saal kocht. Getragen von der Stimmung um ihn herum, entwickelt sich Younge im weiteren Verlauf zum charmanten Dampfplauderer, der das Publikum neckt und herrlich (selbst-)ironische Anekdoten erzählt.

    Als er einen Song für den im März verstorbenen Roy Ayers ankündigt, wird es merklich stiller. Einen weiteren Wermutstropfen  müssen alle schlucken, die realsieren, dass der Gitarrist schlicht nicht zu hören ist.Auch das Schlagzeug ist wieder zu dominant abgemischt, was aber angesichts der Gesamtperformance keine so große Rolle spielt. Mitternacht. Ende. Tosender Applaus, stehende Ovationen. 30 Minuten später verlassen wir Heidelberg, im Gepäck frisch signiertes Vinyl.  In Karben trennen sich unsere Wege. Beide müssen wir noch für eine knappe Stunde durch nebliges Mittelgebirge, Martin in den Vogelsberg, ich in den Hintertaunus. Um 02:30 erreiche ich ermattet, aber glücklich, mein Zuhause.