Von Faust zu Wal

Vor über 15 Jahren drehten wir „Faust“, nach Goethe, als Béla Tarr noch regelmäßig an der DFFB Dozent war. Ich glaube, es muss seine letzte Regiedozentur an der DFFB gewesen sein. Katharina Rivilis war als Margarethe die heimliche Hauptfigur; gerade hat sie als DFFB-Regiestudentin ihren Debütfilm, ihren ersten Langfilm, abgedreht, in New Mexico und Texas, mit Produzent Wim Wenders. Seit Monaten postet sie in sozialen Medien über diese Arbeit. Für den Film hatten sie unglaubliche 52 Drehtage. Für einen Abschlussfilm! Unsere im Winter in München an der Bayrischen Staatsoper gedrehte Produktion (mein ca. zehnter Langfilm), die in ein paar Wochen Premiere hat, hatte 12 Drehtage, darunter auch dokumentarische und improvisierte und aus dem Stegreif geänderte Szenen, für ein Filmprojekt von 90 Minuten. Ich frage mich: Was dreht man 52 Tage lang, und wie bekommt man für einen Abschlussfilm so viel Geld zusammen?

Robert Gwisdek spielte in unserem „Faust“ den Mephisto. Er war Kommilitone von Katharina, als sie Schauspiel studierte, an der HFF Potsdam, damals, 2008. Robert hat gerade seinen ersten eigenen Langfilm als Regisseur veröffentlicht, nach zahlreichen fantasievollen No-Budget-Musikvideos für eigene Musik (und zwei wahnsinnig teuren Musikvideos, die er 2022 für Rammstein als Regisseur und Produzent verantwortete). Seinen Film „Der Junge dem die Welt gehört“ hat er ohne Fördergelder und Fernsehredaktionen aus eigener Tasche finanziert, gedreht mit Geld, das er als Schauspieler und Rammstein-Regisseur verdient hatte. Für seine letzte Rolle in „3 Tage in Quiberon“ war er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden (das Preisgeld (€10.000) dann vermutlich Startkapital für den eigenen Film), seither war er sechs Jahre lang nicht mehr als Schauspieler in Erscheinung getreten, bis jetzt, in „Sterben“, für den er wieder für den Deutschen Filmpreis nominiert war.

„Der Junge dem die Welt gehört“ entstand als kleine familiäre Produktion in Italien und auf seinem eigenen Dachboden in dem kleinen Dorf in Brandenburg, wo er mit seiner Frau (die den Film produziert hat), deren Tochter Chiara (die einer der Hauptrollen in dem Film spielt) und mehreren (?Stief-)Kindern lebt. Lustigerweise spielt auch Denis Lavant mit, der in dem Film genau so aussieht wie Robert Gwisdek. Und auch so agiert. Ebenso erkennt jeder, der Robert kennt, ihn in der männlichen Hauptfigur wieder, gespielt vom Schweizer Singer-Songwriter Faber. In dem Film wechselt er flüssig zwischen deutsch und italienisch. Und Roberts Mutter Corinna Harfouch spielt auch mit. Chiara spielt gleich vier oder fünf Mal die gleiche Figur in verschiedenen Facetten, sehr Gwisdek-typisch. 

Sehe ich Denis Lavant, so denke ich sofort an einen der für mich prägendsten Filme „Mauvais Sang“ von Leos Carax, aus den tiefen Achtzigern. Ein Film, wie es ihn kein zweites Mal gibt, nicht mal von Carax. Er scheint mir überhaupt einige Gemeinsamkeiten mit Robert Gwisdeks Film zu haben. Man müsste die beiden als Double Feature zeigen. Denis Lavant ist heute fast 40 älter als in diesem Film, sieht aus wie ein alter Mann, macht indes allerlei verrückte Sachen, und immer, wenn ich ihn in irgendeinem Film sehe, springt er so jung wie eng und je herum, macht seine Faxen. Denis Lavant und Robert Gwisdek — zwei Brüder im Herzen. Oder im Geiste, je nachdem. Man hätte es sich nicht besser ausdenken können. 

Und wann immer ich Denis Lavant in einem Film gesehen habe, habe ich hinterher David Bowie im Ohr – „Modern Love“. Jeder, der einmal „Mauvais Sang“ gesehen hat, weiß warum. Eine unvergessliche Sequenz. Noah Baumbach hat den Film auch gesehen und in „Frances Ha“ diese geniale Szene schamlos kopiert, mit seiner damals neuen Partnerin Greta Gerwig als Denis-Lavant-Ersatz. Nichts gegen Noah Baumbauch, aber leider ist „Frances Ha“ nicht so eigensinnig und gelungen wie „Mauvais Sang“. Mich ärgert nur, dass er die Hommage nicht kenntlich gemacht hat. Noah Baumbach hat aber auch bessere Filme gemacht, letztens schaute ich seinen Debütfilm „The Squid and the Whale“. Sehr lustig, Jesse Eisenberg in seiner wohl ersten Filmrolle als Teenie-Alter-Ego von Noah Baumbach zu sehen. Und irritierend zu sehen, dass Baumbach in dem Film in vielen Teilen genau die gleiche Geschichte erzählt wie 15 Jahre später wieder in „Marriage Story“ (nur eben aus anderer Perspektive) – dort spielte dann Adam Driver sein Alter Ego. Die Geschichte wiederholt sich; in „The Squid and the Whale“ erzählt er 2004 von der Trennung seiner Eltern 1986 in Brooklyn, aus der Perspektive des Jugendlichen Noah/Jesse/Walt, in „Marriage Story“ 15 Jahre später dann seine eigene Trennungsgeschichte von Jennifer Jason Leigh, die als „Nicole“ von Scarlett Johannsson verkörpert wird. Die Parallelen sind unübersehbar. Mit den Frauenfiguren tut sich Baumbach in seinen Filmen üblicherweise schwerer als mit den Alter Egos. Laura Linney geht aus „The Squid and the Whale“ allerdings als die stärkste Figur hervor. Erstaunlicherweise, muss man fast sagen. 

4 Kommentare

  • Ingo J. Biermann

    Oha. Ja, ich muss gestehen, diese Frage hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm, als ich meinen Tagebucheintrag verfasst habe… In dieser Richtung wollte ich den Eintrag tatsächlich gar nicht verstanden wissen, da ich mich mit dem Film jetzt nicht besonders stark identifiziere.

    Es ist ja auch immer etwas heikel – wenn man sich recht ungeschminkt über die Regiequalitäten in anderen Filmen äußert, muss man damit rechnen, dass man dann selbst auch an solchen Aussagen gemessen wird. Dazu kann ich dann wohl nur sagen: Etwas bereits Fertiggestelltes bzw. Veröffentlichtes zu kritisieren, ist ja immer einfacher als es selbst besser zu machen. Hinterher ist man immer schlauer und so. Ich hatte ja eigentlich vor, über diese Arbeit im Blog zu schreiben und ein paar interessante Einblicke in den konkreten Arbeitsprozess zu geben, habe dann aber bald erkennen müssen, dass das, wenn man wirklich offen und nicht nur oberflächlich schreiben will, einfach nicht machbar ist, weil die Texte dann marketingmäßig kontraproduktiv wären.

    Diese Produktion, die am 20. Juni an der Bayrischen Staatsoper eine kleine Premiere feiert, ist eine Auftragsproduktion für ARD Kultur, wird also in erster Linie in den Mediatheken von ARD und 3sat zu finden sein, aber auch im „linearen Fernsehen“, bei ARD und 3sat, zu sehen sein. Die gesamte Sache wurde von zwei Produzenten in München entwickelt und vorbereitet (und nachbereitet), und ich bin da tatsächlich ausnahmsweise nur der dafür angeworbene (Auftrags-)Regisseur.
    Nicht nur stand das alles unter einem sehr knappen Budget – die meisten wurden nicht gerade üppig entlohnt, es gab kaum Vorbereitungszeit, und entsprechend wurden auch die Drehbücher mit heißester Nadel gestrickt, bis unmittelbar zum Drehbeginn; das heißt normalerweise ja: Wenn man wenig Budget hat, muss man stattdessen den Mangel durch entsprechend Zeit ausgleichen, speziell wenn man sagt, dass man die noch nicht vollständig ins Detail entwickelte/geschriebene Geschichte während des Drehs ausformulieren will, dann bräuchte man statt Budget entweder Zeit zum Proben oder entsprechend mehr Zeit zum Drehen (zum Vergleich: Ein „Tatort“ wird mittlerweile in gut drei Wochen (bin grad nicht 100% informiert; war zuletzt die Rede von 20 bis 23 Drehtagen) gedreht, was schon knapp ist, obwohl die Drehbüber ausgearbeitet sind und nicht improvisiert wird; besser wären etwas mehr als 30 Tage…) – sondern Zeit gab’s aber auch nicht genügend, das Team war zudem winzig klein, und es musste stark auf die sehr engen Einschränkungen an der Staatsoper eingegangen werden; es konnte nur in ganz bestimmten Zeitslots mit starken Vorgaben gedreht werden, und die Redaktion hatte auch noch verschiedene Wünsche, denen vorher und nachher gerecht geworden werden musste, bspw. endet eine Szene damit, dass sich zwei Figuren ein Bier öffnen und anstoßen, ein wichtiges erzählerisches Element für deren Freundschaft, wurde eben am Drehtag auf der Basis einer unfertigen Szene so entwickelt, und dann wurde uns aber im Schnitt gesagt, dass auf keinen Fall Alkohol getrunken werden darf, denn man könne ja nicht verantworten, dass unter irgendwelchen Umständen ein/e Zuschauer/in dadurch ein falsches Bild von Alkoholkonsum bekommen könnte (ist kein Witz jetzt). Also musste ein Teil der Szene inkl. der Dialoge und der Figurenzeichnung hier rausgeschnitten werden.
    Im Wesentlichen war es eine angenehme Arbeit mit ausschließlich netten Leuten und Zusammenarbeiten, aber ich denke, jede/r MItwirkende wird kein Geheimnis draus machen, dass man mit mehr Möglichkeiten (sei es Zeit oder Budget oder größeres Team oder flexiblere Drehmöglichkeiten vor Ort) bessere Qualität hätten erreichen können.
    Das betrifft leider auch den Schnitt; es war von Anfang an die Maßgabe „wir haben nicht die Zeit, um das so auszuarbeiten, leider, finden wir auch nicht gut, können wir aber nicht ändern“; im Gegenzug bräuchte man dann wahrscheinlich jemanden, der (oder die) die entsprechend nötige Schnitterfahrung mit größeren Erzählbögen und improvisiertem Material und dokumentarischer Drehweise mitbringt (oder sagen wir man, wenigstens einen dieser drei Apsekte) – oder alternativ bräuchte man eben Zeit, um viel im Schnitt auszuprobieren, wenn man die schon nicht im Dreh hat… Wenders schneidet an seinen Filmen oft ein Jahr, bei dokumentarischen auch mal über zwei oder noch länger, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie enorm wichtig diese Zeit ist im Schnittprozess, egal ob Doku- oder Spielfilm.

    Mein Freund / Regieassistent schickte mir den Abspann weiter (weil er da an den Korrekturen involviert war), und Interessanterweise sind die beiden Produzenten jeweils sechs oder sogar acht Mal individuell namentlich in dem Abspann erwähnt(!), was m.E. schon recht gut verdeutlicht, wie auch die Verantwortlichkeiten und Einflüsse hier verteilt sind. Ich sage das nur deshalb, weil es eben tatsächlich nicht „mein Film“ ist, wie in der Nachfrage geschrieben, sondern doch eher der Film der beiden Produzenten.

    All dies vorangestellt, die Sache heißt „For the Drama“ – eigentlich sollte es „Here for the Drama“ heißen, aber weil es wohl ein US-amerikanisches Buch mit diesem Titel gibt, wurde aus Sorge vor rechtlichen Auseinandersetzungen der Titel zu „For the Drama“ geändert:

    https://programm.ard.de/TV/3sat/for-the-drama/eid_280074001490399

  • Olaf Westfeld

    Ich kenne nur „Francis Ha“ und nicht den Carax Film, aber die Tanzszene ich mir trotzdem im Gedächtnis geblieben. Und ich finde auch, dass es nicht Baumbachs bester Film ist… sehenswert fand ich den aber auch. „Squid & Whale“ habe ich irgendwann mal vergrippt gesehen – da hat er mich irgendwie beeindruckt, er kam mir auch anstrengend vor und es ist nicht wirklich viel hängen geblieben.

  • Ingo J. Biermann

    @Olaf

    Genau das ärgert mich eben ein bisschen an dem Film: Da die wenigsten Zuschauer von „Frances Ha“ den Film von Carax kennen, hält man diesen schönsten bzw. markantesten Moment in dem Film (der sicher jedem im Gedächtnis bleibt) für Baumbachs Idee. Und dieser Moment ist eben so eindrucksvoll, auch wegen der Musik, und er hätte halt wenigstens einen anderen Song nehmen können statt genau denselben wie 26 Jahre zuvor Carax – der übrigens in jedem seiner ersten drei Filme (jeweils mit Denis Lavant in der Hauptrolle und Carax‘ jeweiliger Partnerin als zweite Hauptrolle) eine ungemein markante Hommage mit jeweils einem Bowie-Song drin hat: In „Boy meets Girl“ (1984) ist es, passend zur verträumten Hauptfigur und zum damals 23jährigen Regisseur, der „naive“, ganze frühe Bowie (von dessen erstem Album) mit „When I live my Dream“, im zweiten, „Mauvais Sang“, ist es eben „Modern Love“ (es ist ja auch ein großer Liebesfilm, den man in seiner Stilistik durchaus auch als „modern“ bezeichnen kann) und im dritten, „Les Amants du Pnt Neuf“, (1991) ist es „Time will crawl“ (und ich würde auch sagen, dass das inhaltlich passt). Bei „Frances Ha“ sehe ich die inhaltliche Notwendigkeit nicht wirklich.

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