Das Glück des Brötchenholers (1/3)


„And o‘ my love, I still recall the pleasures that we knew
The rivers and the waterfall, where in I bathed with you
Bewildered by your beauty there, I’d kneel to dry your feet
By such instructions you prepare a man for Boogie Street“

(Leonard Cohen)


Es hilft anzunehmen, diese kleine Geschichte in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts anzusiedeln, aber sie ist natürlich zeitlos. Und könnte sich auch morgen früh abspielen. Am Meer, auf dem Festland. Wenn wir miteinder Sex hatten, die Nächte ihrem besonderen Rhythmus folgten, in dem ausgiebiger Schlaf, intensive Träume, ein zweiter Akt, den Ton angaben, gab es immer auch, was wunder, den folgenden Morgen. In der Regel waren wir rauschhaft befriedet, das Vögeln hatte keine schwelenden Konflikte verschleiert, und fast jeder dieser Morgen mit wechselnden oder relativ konstanten Partnern war ein Fest. Ich glaube nicht, dass es Menschen hilft, zu lange im Nachdenken über das eigene Selbst zu verweilen – und warum?! Weil ich im Laufe der Jahre eine Lösung für alles Grübeln über die eigene Identität gefunden habe: das Glück des Brötchenholers. Die Frauen in meinem Leben (und ich spreche nun dezidiert, aus Gründen der literarischen Verdichtung , des „Plotting“, und des Augenzwinkerns von meinem Leben vor dem Millenium) waren zumeist sehr helle im Kopf, vedammt profunde Wesen (die Schönheit noch unverblichen), und wenn wir überhaupt den Sex der Nacht ins Frühstück einfliessen liessen, dann kannten all meine Gegenüber nur drei Wendungen für den Rausch: ficken, vögeln, oder miteinander schlafen. Fast eine Typologie: denn alle blieben einer dieser drei Wendungen treu. Es gab nichts anderes, meine zwei Londonerinnen lasse ich mal aussen vor. Ich tendierte selbst zu „miteinander schlafen“, und wunderte mich über manche meiner Kopfkissenteilerinnen, dass sie es Ficken oder Vögeln nannten. Mir schien das wenig romantisch, aber zugleich machte es mich an, und ich visierte gerne eine weitere Nacht an, und manchmal eine kleine Ewigkeit (Leonard Cohen konnte aus den Zwischenzonen der Exstase grosse Lieder schmieden.) Der entscheidende Faktor jedenfalls, welcher kritische Urteilskraft und pure Sinnlichkeit auf den Punkt brachte, war das Glück des Brötchenholers. Und der war in der Regel nun mal ich. Wenn ich beim Gang zum Bäcker spürte, dass meine Füsse sanft über dem Boden schwebten, wenn ich offen war für eine launigen Wortwechsel mit der Bäckersfrau, und Bilder der vergangenen Nacht unangestrengt den Akt des Brötchenholens begleiteten, war ich in milde Euphorie gehüllt, in schönes Einsssein mit der Welt ringsum, und hatte alle dringlichen Fragen des Lebens pulverisiert. Floating on a moment… Ich achtete auch auf den Strassenverkehr, damit es mit nicht so erging, wie dem Protagonisten in Francois Truffauts letztem Film. Das wurde zur Blaupause, und ein Dauerzustand. Im Glück des Brötchenholers wurde alles Fragen nach dem, was das Ich ausmacht, zu einer heiteren Luftspiegelung. Ich ging komplett im Transportieren der jeweiligen Brötchentüten auf, und so absurd sich das anhören mag, wenn man diese Zeilen laut liest, das ganze Leben wurde pure Gegenwärtigkeit, mein Bewusstsein ein Schwebebalken – zu den besonderen Geschenken, die das Leben bereithält, zählt fraglos das fast unsichtbare Lächeln einer Geliebten beim Rüberreichens des Honigtopfens: „Vögeln wir gleich wieder?“ Das war dann der Moment, da ich zu gerne Brian Enos „Music For Airports“ auflegte, und (wir sind in den Achtzigern) etwas später die Auslaufrille der Schallplatte den Soundtrack unseres Morgenficks begleitete.

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